Ich schreib halt so viel gern.
Heut auch schon wieder. Dabei hab ich gar kein spezielles Thema. Nur diesen seltsamen Drang,
ein paar Buchstaben rauszuhauen.
Kenn ich gut, dieses Gefühl.
Hatte ich immer wieder einmal, wenn ich unterwegs war zu meinen Psychoanalyse-Terminen.
Sitzungen kann man die ja nicht nennen. Weil es eine klassische Analyse war und die absolviert man ja ganz klischeehaft im Liegen. 3 x die Woche je 1 Stunde. Damals war ich noch CEO in einem Reklamebüro und die Stunden fanden zu Bürozeiten statt. Hab ich irgendwie immer geschafft, obwohl ich das Eisenhower-Prinzip "Wichtig schlägt Dringend" noch gar nicht kannte. Damals. Beim Dr. Gradner selig. Leider vor ein paar Jahren verstorben, grad einmal 65 jährig. Aber immerhin nachdem wir nach insgesamt viereinhalb Jahren einen würdigen Abschluss gefunden hatten. Apropos: Selig schreibt man mit 1 e und nicht seelig, wie sich das jetzt immer öfter einzubürgern scheint. Und doch hätte es beim Gradner so gut gepasst, wo er sich doch so wunderbar um meine Seele gekümmert hat.
Und immer, wenn ich zu ihm gefahren bin und mich im Auto gefragt hab, was ich heute mit ihm besprechen soll und eigentlich nix gewusst hab, was ich mit ihm besprechen soll, ist dann mitten im Gespräch plötzlich was explodiert und stand mitten im Raum. Nicht wie der berühmte "elephant in the room", sondern wie eine alles umspannende Glocke, unter der ich mich befand. Ich und der Gradner.
Und dann wurde alles sehr dicht und wollte aus mir heraus. Und wir wussten beide: Das wird uns jetzt sicher ein paar Wochen lang begleiten. Das wird jetzt Arbeit. An mir.
Und Gradner und ich hatten einen Deal. In der strengen Form der Analyse musste ich die Grabungsarbeiten in meinem persönlichen Bergwerk selbst durchführen. Er würde aufpassen, dass ich mich nicht verirre und ab und zu mit gezielten Fragen einen kleinen Wegweiser aufstellen.
Aber ich hatte eine Notfalls-Lizenz: Wenn ich beim Graben auf einen überwältigenden Schmerz-Punkt stoßen sollte, den ich absolut gar nicht überwinden konnte, durfte ich "Emergency" sagen und er würde mich auffangen und beschützen.
Das hat er auch immer gemacht. Bis auf ein einziges Mal. Da war mir in meinen privaten Irrungen und Wirrungen etwas passiert, das ganz fatal ein Muster lostrat, das meine Mutter bei mir verankert hatte und das trotz größter Vorsichtsmaßnahmen aus dem Käfig ausgebrochen war. Und dieses Muster hat sein allerbösestes Spiel mit mir getrieben, obwohl ich es von Beginn an gespürt hatte und schließlich kapitulierte. Das hat mich echt fertig gemacht.
So fertig, dass ich sogar außerhalb unseres gewohnten Rhythmus dringend einen Not-Termin beantragt hatte. Und keinen kriegte.
Erst, als ich völlig devastiert beim Turnus-Termin auftauchte, erkannte Gradner, wie beschissen ich drauf war. Das habe ich an seinem erschrockenen Gesicht erkannt.
Und dann hab ich mich langsam und qualvoll aus dem Loch herausgebuddelt, in das ich mich selbst manövriert hatte. Und Gradner stand oben am Grubenrand mit einer gefühlt kleinen Kerze. Grade mit so viel Licht, dass ich nicht die Orientierung verlor.
Irgendwie hab ich jetzt ziemlich lang und ziemlich viel über den Gradner und mich geschrieben.
Vielleicht, weil ich in den letzten Wochen wieder viele Einzel-Coachings hatte. Vielleicht, weil jetzt viele KlientInnen nach Orientierung suchen. Und ich da ab und zu etwas Erhellendes beitragen kann.
Niemals, indem ich in der Seele meiner KlientInnen herumstochere - das ist zurecht (!) Sperrgebiet für einen Wirtschafts-Coach. Aber grade heute ist in einem ursprünglich recht saloppen Dialog plötzlich die Frage der Authentizität meines Klienten im Raum gestanden. Und dass er sich durchaus trauen darf, zu sich selbst zu stehen. Da hab ich trotz des Filters, den das Video-Gespräch zwischen uns geschaltet hat, gemerkt, wie ihm tief drinnen eine Schleuse aufgeht.
Genau solche Glücksmomente machen meine Arbeit so schön. Und immer wieder so unglaublich befriedigend. Und ich bin ganz sicher: Ohne den Gradner hätte ich wohl nie zu meinem neuen Leben als Coach gefunden. Danke. Wo immer er als leidenschaftlicher Agnostiker grade sein mag.
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Karin (Mittwoch, 01 Dezember 2021 00:30)
Wie schön du schreibst, Hannes! Und damit meine ich - unter vielem Anderen- auch, dass ich mich in so Vielem wiederfinde.
Auch ich war bei einem wunderbaren Therapeuten, der mir in meiner tiefen Grube ein Licht gehalten hat, an dem ich mich orientieren konnte.
Schön, dass du anderen Menschen ein Licht zu sein vermagst! Auch mir, immer wieder.