Rickmer Rickmers.
Dieses prachtvolle Segelschiff im Hamburger Hafen habe ich 2012 wieder einmal fotografiert. Ich war zwischen zwei großen Seminar-Blöcken übers Wochenende in meiner Lieblings-Stadt geblieben und stand fasziniert vor dieser maritimen Schönheit.
Vor lauter Begeisterung habe ich das Foto auf meiner damals beinahe noch jungfräulichen Facebook-Timeline gepostet. Kurz darauf trudelten die ersten Kommentare rein und ich war ein bisschen panisch, weil ich nicht wusste, wie ich mit diesen spontanen Artikulationen umgehen sollte.
Ich war halt noch ein ziemliches Greenhorn in den unendlichen Weiten der Social Media.
Es dauerte nicht lange, da fühlte ich mich schon recht heimisch auf Facebook.
Ich postete Andekdoten und Schnurren aus meiner Werberzeit, sparte nicht mit persönlichen Insights und mit der Zeit sammelte sich eine kleine Freundesschar um mich. Als ich 2015 mein Büchlein "Hungry Heart" veröffentlichte, konnte ich einen Teil des Buchs sogar mit Facebook-Miniaturen bestücken und erhielt recht freundliches Echo darauf.
Als 2016 mein Buch "Tool Box" erschien, verdankte ich Facebook ein gutes Drehmoment bei einem recht erfolgreichen Launch. Ja, sogar neue Kunden sind über Facebook auf mich aufmerksam geworden - in Summe sogar mehr, als über das eigentlich "zuständige" LinkedIn.
Ungefähr gegen 2014 fing ich an, auch politische Postings zu schreiben. Die unerträgliche Agonie der Ära Faymann provozierte mein sozialdemokratisches Innerstes so sehr, dass ich immer wütendere Attacken gegen den intellektuellen und ideologischen Stillstand ritt.
Da sind dann auch ganz neue LeserInnen auf mich aufmerksam geworden. Eine Handvoll von denen konnte ich im wirklichen Leben als echte wunderbare neue Freunde gewinnen. Eine andere Handvoll von vorherigen Freunden aus dem "wirklichen Leben" habe ich verloren.
In Summe aber ein hervorragender Deal.
2017 kam Kurz. Wie so manch andere hatte ich ihn kommen gesehen und war bereits seit 2015 in großer Skepsis, Ablehnung und Alarmbereitschaft gegen ihn und seine Komplizen. So wie einige andere auch habe ich leider bis auf eine einzige Ausnahme Recht behalten, was die Abgründe seines Charakters und seiner Absichten betraf. Nur meine Annahme,
es würde doch zu keiner türkis/grünen Koalition kommen, erwies sich als falsch.
Ich begann, einen Blog einzurichten. Dort tobte ich mich aus. Ein Beitrag nach dem anderen wurde geschrieben, um ein Ventil für meine Wut und meine Abscheu gegen die türkise Kamarilla zu bieten.
Einmal explodierte mein innerer Kelomat und ich tobte schäumend gegen Kurzens Diktum, die Arbeitslosen würden morgens liegen bleiben und ihre Kinder ohne Jause zur Schule schicken.
Dieser Blog - auch auf Facebook gepostet - ging viral und erreichte 12.600 LeserInnen.
2019 schenkte mir meine Frau ein von ihr redigiertes und gestaltetes Büchlein, in dem sie meine Blogs zusammengetragen hatte, zum Geburtstag:
"ROT. Texte aus dem politischen Herzen."
Auch dieses Buch fand ein paar eingeschworene KäuferInnen. Der Untertitel konnte passender nicht sein. Im selben Jahr begann mein Vorhofflimmern und ich musste binnen 13 Monaten zwei mal mit Elektroschocks (Cardioversion) wieder rekalibriert werden.
Da merkte ich zum ersten Mal auch körperlich, welchen Schaden ich mir selbst zugefügt hatte.
Ein paar Versuche des FB-Detox gelangen und scheiterten. 2021 wurde in einer kleinen Operation mein Vorhofflimmern endgültig beseitigt und ich schwor mir, nun besser aufzupassen.
Was sich im letzten halben Jahr abspielte, weiß jeder, der/die sich in Ösistan aufgehalten hat.
Ich versuchte, Abstand zu halten, dann näherte ich mich wieder gefährlich den Inhalten, schrieb auf Facebook und schrieb meine Blogs bzw. machte ich Blogs aus meinen Facebook-Beiträgen und postete sie auf Twitter.
Dann der nächste Facebook-Detox.
Und endlich kapierte ich, dass ich mir mit großer Hartnäckigkeit selbst das Perpetuum Mobile des Spins zugezogen hatte. Als ich letztens wieder einmal mein Konto deaktivierte, fragte Facebook nach dem Grund. Und ich gab an, dass mir meine Neigung, politische Posts zu schreiben, gesundheitlich nicht gut tut.
Nach einer gehörigen Pause schnupperte ich nun wieder als Voyeur rein und - erstaunlich! - der Feed war fast leergeräumt von politischen Posts.
Viel privater liebenswerter Kleinkram, ein bissi Corona und die üblichen Katzenbilder.
Surprise!
Ich schreibe weiterhin nichts auf Facebook.
Ab und zu gönne ich mir einen Kommentar auf Twitter. Und natürlich Blogs. Das krieg ich gut hin.
Ich glaube, ich bin wieder bei der guten alten Rickmer Rickmers angekommen.
Und es fühlt sich gut an.
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