Trotzdem.

Obwohl die Reizüberflutung aus den Medien aller Art fast schon nicht mehr erträglich ist.

Obwohl es de facto vollkommen wuascht ist, was sich einer wie ich denkt und ob er es veröffentlicht, oder nicht.

Obwohl mir vollkommen klar ist, dass sich Zeiten und Entwicklungen einfach bewegen - unabhängig, ob mir das passt, oder nicht.

Obwohl all das und noch viel mehr geschieht, sitz ich jetzt halt so da und schreib was auf, weil es mir Erleichterung verschafft. So halt.


Aus meinem früheren Berufsleben dringen irritierende Lebenszeichen in meine Wahrnehmung. Mehr als in vielen anderen Branchen geht es im Kommunikations-Geschäft zunehmend und vor allem bei den ganz jungen Menschen um die sogenannte "work/life-balance". Jetzt wird sicher bei vielen schon der Boomer-Alarm angesprungen sein - ich versuche trotzdem, meine Sicht darzustellen.

Der inhärente Vorwurf all jener, die sich eine bessere work/life-balance wünschen, ist oft der Verdacht, der Boomer-Generation (und auch den Generationen zuvor) wäre es in ihrem Bestreben, Arbeitsstunden zu akkumulieren, um so etwas wie die "Romantik der Kameradschaft" gegangen. Ganz nach dem Motto: 

Weißt Du noch, wie wir damals in den 80ern bis 4 Uhr Früh an den Präsentationen geschraubt haben, uns mitten in der Nacht Pizzen kommen ließen, dann irgendwie nach Hause, duschen, rasieren und um 9.00 beim Kunden die große Show abgezogen haben?

Einerseits kann ich mit Fug und Recht behaupten: Genau so war´s.

Und gleichzeitig auch wieder nicht.

Mindestens genauso oft - wenn nicht öfter - entstanden die Nachschichten und das Brennen ganz einfach aus der Leidenschaft.

Der Leidenschaft für die geile Arbeit, die geile Idee und die unbändige Freude an der Entwicklung dieser Ideen und der Methoden, sie den Auftraggebern so faszinierend wie nur möglich zu verkaufen. "Mouthwatering" war damals so ein Wort aus der Lebensmittelwerbung. 

Dafür habe ich Nächte investiert, Wochenenden geopfert und Urlaube verschoben. Deppat, werden jetzt viele sagen und ich gebe gerne zu: In einigen Fällen war es einfach der falsche Fokus zur falschen Zeit für das falsche Thema. Und zur Legende meines Umstiegs ins Coaching gehört - der Wahrheit entsprechend - dass es mir irgendwann vollkommen egal war, ob im Snickers 10 Prozent mehr Erdnüsse sind oder ob der VW Golf einen beleuchteten Aschenbecher hat. 

Aber wenn ich an meine 20 Werberjahre denke, dann sehe ich mich mit den wunderbarsten Genies, die man sich nur vorstellen kann, für etwas brennen. Und diese Glut, diese Hitze, kann ich immer noch spüren und bin so dankbar dafür.

Neulich hat ein sehr erfolgreicher Agentur-Geschäftsführer genau darüber geklagt. Dass es häufig vorkommt, dass bei Bewerbungen junger Leute für einen Job in der Agentur dieses Brennen fehlt.

Noch schlimmer: Die jungen BewerberInnen betonen geradezu, dass sie sich genau anschauen wollen, ob das wohl für sie passt, ob sie genug Freizeit garantiert bekommen und ob die Chemie mit den anderen Mitarbeitenden stimmt.

Da entstehen dann zwei Bilder gleichzeitig bei mir:

Das zurecht zu verachtende Zerrbild der Führungskräfte ältester Schule, die um 19.00 durch die Korridore streifen und sich aufregen, dass niemand mehr arbeitet. Und ein stiller Ärger über das wohl berechtigte Ansinnen, bei der Arbeit rundum gesund bleiben zu wollen und die gleichzeitig von mir so empfundene Arroganz, die Arbeit als notwendiges Übel einzustufen und das "Leben" anderswo abzuspielen.

Ich stehe in fundamentalem Widerstand gegen die Einschätzung, dass es einerseits die Arbeit und andererseits das Leben gäbe und diese beiden Antagonisten in eine solide Balance gebracht werden müssten.

Alles in mir schreit Nein. Warum kann denn die Arbeit nicht ein integraler Bestandteil des gesamthaften Lebens sein, sinnstiftend wirken und sogar so etwas wie Spaß machen - so viel Spaß wie ein paar Stunden mit Freunden oder mit einem leidenschaftlich betriebenen Hobby? (Ich bin mir jetzt nicht sicher, ob die GenZ den Begriff "Hobby" noch kennt, mach mir darüber jetzt aber keine Sorgen.) 

Ja! Die Arbeitgebenden sind in der Pflicht, motivierende Arbeitsbedingungen anzubieten. 

Aber ich kann das reflexartige Argumentieren, dass der Tischfussball-Automat und der Obstkorb nicht ausreichen, nicht mehr ertragen. Selbstverständlich reicht das nicht, es es ist aber auch längst genug, diese Klischees in jeder Debatte zu strapazieren. Zugleich wünsche ich mir so sehr, dass es ein Ende hat mit den gelangweilten Gesichtern, aus denen so plakativ der Stundenzähler tickt, bis der notgedrungene Arbeitstag endlich sein Ende hat.

Ich sehne mich nach einer gemeinsamen Anstrengung der Arbeitgebenden und der Mitarbeitenden, Farbe, Blut, Leidenschaft, Genuss und Stolz in das gemeinsame Tun zu bringen.

Und dabei unverschämt eine Kombination von längst etablierten Erkenntnissen mit neuen Zugängen zu wagen. Es macht mich wütend, wenn ein mit Millionen Followern gesegneter Social Media-Guru nichts anderes tut, als den wunderbaren Paul Watzlawick zu predigen - allerdings ohne Quellenangabe und mit der Aura der brandneuen Insights. Und die prekär Gebildeten rennen diesem Schausteller nach und entzünden ein frisches Räucherstäbchen.

Es könnte einem wie mir ja eh recht sein, wenn Watzlawick auf diese Weise eine Wiedergeburt gegönnt wird - es wäre halt so viel ehrlicher, wenn man die Größe hätte, zuzugeben, dass es sich dabei um eine wirklich gute Erkenntnis des großen alten Meisters handelt.


Es ist für mich im höchsten Maß irritierend, wenn die hochgejubelte "New Work" sich als Architekten-Blase entpuppt, hinter der nichts anderes steckt, als das Bemühen, Kosten zu sparen. Um den Preis eines Faustrechts der Lautstärke auf den endlosen Weiten der "Fläche" und einer neuen Konformität, die die alte als "konform" geächtete einfach ablöst. Es sieht mittlerweile überall gleich "neu" aus. Und selbstverständlich hat die Pandemie bewiesen, dass der Präsenzdienst in den Büros ein elendes Auslaufmodell war. Dass Vertrauensarbeitszeit, Vertrauensurlaub, Home Office wunderbare Tools sind, um Individualität und Produktivität zu kombinieren.

Mir geht nur das Heißluftgebläse, das darum herum aufgestellt wird, so unendlich auf den Geist. Sagt einfach, was ist und macht nicht so ein hypertrophes Theater darum.


So viele Postings und Blogs hab ich schon geschrieben, weil mich der soziale und politische Müll so sehr belastet. 

Vorgestern waren wir bei der sensationellen Show des Mentalisten Harry Lucas in Biedermannsdorf. 

Ja, Biedermannsdorf. Weit draußen. Es war sensationell. Der Mann ist derartig gut, dass ich ihm von Herzen die volle Wiener Stadthalle wünsche. Zugleich war es so ernüchternd zu erleben, wie der sogenannte Mainstream nicht imstande ist, die einfachsten Kleinigkeiten kurzfristiger Konzentration zu stemmen. 

Es ist ziemlich fix, dass wir gesamthaft auf eine heftige und nachhaltige Konfrontation zusteuern.

Die Bruchlinien laufen zwischen den prekär Gebildeten und den allgemein Gebildeten. Zwischen den Fachidioten und den Generalisten. Zwischen den Achtsamen und den Strebsamen. Innerhalb der Achtsamen zwischen den Toleranten und den Dogmatikern. Innerhalb der Strebsamen zwischen den Karrieristen und den Leistungsbereiten. Zwischen den Jungen und den Alten. Den Gesunden und den Kranken. Den Solidarischen und den Egomanen. Den Demokraten und den Autoritären. 

Das sind keine Wortspielereien.

Das sind so viele elektrisch geladene Zäune, dass die Aussicht auf ein gemeinsames Kraftfeld verschwindend gering ist. 

Das fehlt mir so. 

Ein gemeinsames Interesse, an dem sich ein großer Teil der Gesellschaft aufrichten und dem entlang sich diese Mehrheit bewegen kann. 

Da ist viel kaputt gegangen in den letzten Jahren.

Vielleicht zu viel. 

Und in dieser Zersplitterung grinst der alte Begriff der Entfremdung um die Ecke. Und das Sartresche Geworfensein. Als wir uns als Maturanten mit diesen Themen beschäftigen mussten, waren wir doch recht heftig im Zweifel, ob denn alles wirklich so schlimm ist, wie es Sartre, Marcuse, Adorno u.v.a. sahen.

Oder der früher einmal scherzhaft formulierte Gedanke, dass kein Science Fiction-Film doof genug ist, als dass sein Inhalt nicht doch einmal Realität werden könnte.

Irgendwie passiert das alles. Jetzt.

Und es fühlt sich nicht gut an. 



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