Am Oasch voabei.

"Was kann der arme Mohr dafür, 

dass er so weiß nicht ist, wie ihr?"

Ein Zitat aus dem Struwwelpeter. 


Wurde mir vor 60 Jahren von meiner Omi vorgelesen. Und ich hab mich an anderer Stelle des Buchs sehr davor gefürchtet, dass der Schneider den Daumen des Daumenlutschers abschneidet. Oder dass der Wind den Robert verträgt. Und vor noch ein paar anderen Grauslichkeiten.

Aber die Geschichte mit dem Mohren hat mir schon im Kindergarten-Alter klargemacht, dass Rassismus Scheiße ist. 

Nun darf man den Begriff "Mohr" nicht mehr verwenden.


Und "Eskimo"-Eis erntet immer noch beflissene Entrüstung, weil das doch Inuit sind. Und noch immer hab ich keinen Inuit getroffen, der deswegen beleidigt gewesen wäre.


Es ist alles so paranoid geworden, dass man sich schon fürchten muss, im ungeeignetsten Moment auf eine/n Tugendwächter/in der sprachlich/politischen Correctness - noch präziser: Wokeness - zu treffen.


Ich habe einmal ein Team moderiert, das ausschließlich aus solchen Menschen zusammengestellt war und man konnte den Angstschweiß riechen. Bei jeder Wortmeldung. 

Die suchenden Blicke, ob man wohl eh noch immer in der Gunst der männlichen und weiblichen und alle anderen Geschlechter repräsentierenden Ayatollahs steht. 


Ich-Botschaften - Kernelement der gewaltfreien(!) Kommunikation - sind zum Minenfeld geworden, 

weil das Aussprechen der eigenen Befindlichkeit ja jemanden unter Druck setzen könnte. 

Die deutsche Sprache, die uns ohnehin mit einer Grundausstattung von drei Geschlechtern verwöhnt, wird zum ultimativen Gender-Tempel.

Und klassische Juwelen der Literatur und der Musik kommen auf die Kodices, weil niemand die Toleranz aufbringt, sie in den Kontext der Zeit zu stellen, 

in der sie entstanden sind.


Wir bewegen uns mit Höchstgeschwindigkeit auf ein zutiefst illiberales und intolerantes Szenario zu, in dem sogar im Extremfall das Verbrennen nicht wokeness-gerechter Bücher vorstellbar wird. 

Die "Wahrheit" - ohnehin nur ein Konstrukt, auf das man sich irgendwie einigen muss - verkommt zum ängstlichen Schielen nach potenziell Beleidigten und dem feigen Anpassen an einen hypernervösen Mainstream, der jede Aussage, die nur irgendwie diskurs-affin ist, bereits als "minimal-aggressiv" brandmarkt. 

Cancel-Culture, Aneignung, Non-Inclusiveness... alles Tretminen, die einem Angst machen und jedes Wort auf die Goldwaage hieven, um es dort zentnerschwer "einzuordnen". 


Seit 18 Jahren bemühe ich mich in Einzel- und Gruppen-Coachings um ein Höchstmaß an Wertschätzung und Fairness. 

Um die Handlungsfähigkeit aller Beteiligten.

Aber bei soviel Paranoia möchte einem manchmal die Lust auf diese wunderbare Arbeit vergehen.

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