Wie lange noch?

Wie lange noch?


Stilles Gedenken für Dr. Lisa Kellermayr am Stephansplatz. 

Meine Frau und ich sind dort. Treffen in der Menge einen seit Jahren eng verbundenen Freund. 

Leises Geplauder. 

Dann wird es 20.45 und die Glocken beginnen zu läuten. Handy-Lichter werden eingeschaltet, Kerzen angezündet, Taschenlampen fahren in die Höhe. 

Gleich bei den ersten Glockentönen fährt mir eine unkontrollierbare Trauer in die Glieder.

Ich merke, wie mir die Tränen runterlaufen. 

Unter den Brillenrändern vorbei in die Maske. 

Es lässt sich nicht bremsen. 

Meine Frau lehnt sich an mich. Ihr geht es wie mir. 

Dann läutet zum Schluss noch die Totenglocke.

Eine einsame Ruferin des Schmerzes. 

Die Kerzen leuchten noch immer. Niemand will gehen. 

Weit weg am Platz fangen ein paar Menschen zu singen an. "Dona nobis pacem". Gib uns Frieden. 

Wir singen dieses Lied immer im Advent.

Gabi singt. Wo wir stehen, singt sie alleine.

Ich würde gerne mitsingen, aber ich bringe keinen Ton heraus.

Statt dessen halte ich meine Frau im Arm.

Ich spüre, wie sie bebt. 

"Dona nobis pacem" - Gib uns Frieden. 


Welchen Frieden? 


Wie lange dauert es noch, bis die mit sich selbst beschäftigten staatlichen AmtsträgerInnen endlich kapieren, wie gefährlich die Lage schon ist?

Und wenn sie es wissen - wie lange dauert es noch, bis endlich jemand, der/die etwas zu sagen hat, den Mund aufmacht? 

Wie lange noch? 

Bis sich endlich jemand der schweigenden Mehrheit verpflichtet fühlt und der Hetze Einhalt gebietet.

Wie lange noch?

Bis "das System" nachgibt und sich den Faschisten und den Schwurblern fügt und an seiner eigenen Feigheit, die als Toleranz verkleidet ist, erstickt. 

Wie lange noch?

Bis sich endlich die aus der Geschichte sattsam bekannten Erkenntnisse in die Frontallappen der Entscheidenden durchkämpfen und die Einsicht bewirken: Halloooooo, die nützen die demokratischen Spielregeln, um die Demokratie abzuwürgen!

Wie lange noch?

Bis sich die vereidigten FunktionsträgerInnen besinnen, dass mit dem Verstecken hinter juristischen Halbwahrheiten keine Gegenwehr gegen den Hass möglich ist.

Wie lange noch?

Bis der sogenannte "Frieden" wieder einkehrt in unsere Gemüter. Bis der Hass an sich selbst scheitert? 

Das wird nichts werden. 

Wir müssen dem Hass entgegentreten. 

Nicht, indem wir die andere Backe auch noch hinhalten. Sondern indem wir uns endlich wehren.

Und den Hetzern entgegentreten.

Und den Schweigern in die Ärsche treten.

Und allen, die längst den Mund aufmachen hätten sollen, klarmachen, dass sie in der Pflicht sind. 


Dona nobis pacem. Ja. 

Aber nicht um den Preis der Selbstverleugnung.



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