Wenn man eine Woche Pause machen muss, weil einen die Bandscheiben ins Krankenhaus zwingen und die Schmerzen langsam weniger werden, kann man über einiges (anders) nachdenken, als zuvor.
Das könnte jetzt ein bisschen länger werden.
• Clash of generations.
Auch wenn schon der alte Sokrates über die seiner Meinung nach schwierige nachrückende Generation räsonierte: Ich glaube, dass es nun in der Gesellschaft Verwerfungen zwischen den Generationen gibt, die es in dieser Intensität schon lange nicht gegeben hat. Der sogenannte "Generationenvertrag" steht ernsthaft zur Disposition und damit ein Modell, das einige Jahrzehnte lang außer Streit gestellt war. Damit im Zusammenhang die aus meiner Sicht elementare Frage der Solidarität. Solidarität innerhalb unserer Gesellschaft, aber auch mit den Mitgliedern anderer Gesellschaften, die durch die Wirren der Zeit zu uns kommen.
• Arbeit.
Das Thema Arbeitszeitverkürzung ist ein Dauerbrenner durch die Jahrzehnte. Schon als ich in den 80ern studierte, gab es beherzte Autoren, die nach der 35-Stunden-Woche riefen und seither ungerechterweise in Vergessenheit gerieten. Nun geht es verschiedentlich wirklich ins Eingemachte: Speziell in der Dienstleistungsbranche kann man sehr engagierte Versuche beobachten, die bisherigen 40 Stunden auf vier Tage zu verteilen und den fünften Tag freizulassen. De facto haben sich viele Mitarbeitende auf eine Zeitspanne von Montag bis Donnerstag festgelegt, was bei manchen Kunden zu Betreuungsdefiziten an den Freitagen führt. Da könnte man durchaus radikal über eine prinzipielle Flexibilisierung nachdenken und die 40 oder auch weniger Stunden auf 7 Tage verteilen...
• Führung.
Erlebt in diesen Zeiten des Umbruchs einen rigiden Change. Einerseits kann ich in beinahe schon gnadenloser Regelmäßigkeit beobachten, dass das Wissen und erst recht die Praxis von etablierten Führungsmodellen vorsichtig formuliert verbesserungswürdig sind. Und ich frage mich oft,
ob denn die Anwendung bereits existierender Führungs-Modelle nicht einen ersten Schritt wert wäre, bevor man neue Zugänge hochjubelt. In meiner Praxis sehe ich sehr oft eine Kluft zwischen wirklich ambitioniertem Bemühen "neuer Modelle" (e.g. "servant leadership") und dem banalen Alltag, in dem ab und zu auch einmal eine beherzte Ansage für Klarheit sorgen würde. Würde man beispielsweise den manchmal aus der Mode gekommenen kooperativen Führungsstil "ordentlich" anwenden, dann dürfte eine Führungsperson ein Ziel vorgeben, den Weg zum Ziel freilassen und - genau das fehlt am häufigsten - mittels regelmäßiger Milestones gemeinsam mit dem Team checken, ob die Richtung, die Qualität und das Timing passen. "Leadership is all about compasses - not roadmaps" schrieb der von mir sehr verehrte Warren Bennis und blieb an vielen Orten unverwirklicht. Weil aber schon die Basics nicht etabliert sind, kann ein komplexerer Alltag natürlich schon gar nicht funktionieren. Mit Schrecken sehe ich sehr große Unternehmen, in denen die Mitarbeitenden manchmal nicht wissen, wer ihre Führungskräfte tatsächlich sind, weil sie zwischen operativer und disziplinarischer Führung hin und her gerissen werden. Die Führungskraft, die die Dienstpläne schreibt, ist nicht auch die, von der die Urlaube freigegeben werden...
• Konflikt-Management.
Manchmal finde ich es ärgerlich, wenn Grundlagen der Kommunikation, die seit Jahrzehnten bekannt sein sollten, von "modernen" Influencern als eigene Erkenntnisse verscherbelt werden. Dann denke ich mir wieder: Besser alter Wein in neuen Schläuchen - Hauptsache, er wird getrunken. Wenn aber eine kraftvolle und sattelfeste Ich-Botschaft an den orthodoxen Wokeness-Gesetzen zu scheitern droht, weil die Kundgabe meines inneren Zustands bei anderen zu Unwohlsein führen könnte, kippe ich in einen Zwiespalt aus Ärger und Verständnislosigkeit. Ich wünsche mir einen gesamthaften Konsens, der es uns erlaubt, geradlinig und respektvoll miteinander umzugehen, ohne sich ständig im Grundrauschen einer Vokabel-Polizei einen paranoiden Tinnitus einzuhandeln. Die Tools dafür gibt es schon lange - auch die wären es wert, gelernt und angewendet zu werden.
• Change.
Es ist dringend nötig, dass die Grundlagen unseres Zusammenlebens kritisch überprüft werden. Und dass das Beharren auf tradierten Mustern aufgebrochen wird. Zugleich brauchen wir einen Grundkonsens für den Umgang mit anderen Ansichten und Meinungen. Die Polarisierung in der Gesellschaft ist weit fortgeschritten - und dabei ist es völlig unerheblich, ob wir gespalten oder zersplittert sind (nebenbei: Das Thema Fragmentierung ist auch schon ein alter Hut). Wir brauchen eine Schnittmenge - und wenn sie noch so klein ist - um aus dieser Schnittmenge die DNA des positiven Umgangs miteinander extrahieren zu können. Damit genau diese DNA dann dort zum Einsatz kommen kann, wo wir uns real oder symbolisch die Köpfe einschlagen (wollen). Auch dieser Modus ist nicht neu. Er wurde vor einigen Jahren in Harvard erdacht. Da wäre dann eine Weisheit hilfreich, die manche dem großartigen Kurt Tucholsky zuschreiben: "Toleranz ist der Verdacht, der andere Mensch könnte Recht haben."
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