Am 23. Oktober wurde ich zum ersten Mal seit Ausbruch der Pandemie positiv auf Corona getestet. Am 6.11. konnte ich mich freitesten.
Das war sehr hilfreich, weil ich mit dem negativen Attest endlich ins Evangelische Krankenhaus einrücken durfte.
Seit 20. September plagt(e) mich nämlich ein zunehmend schmerzhafter Bandscheibenvorfall in der Lendenwirbelsäule.
7 Jahre, nachdem ich so erfolgreich eine Reha in Bad Harbach absolviert hatte, war ansatzlos und sehr unangenehm der Schmerz wieder da. Out of the blue. Gekommen, um zu bleiben.
Das war insbesondere während meiner Covid-Erkrankung sehr lästig, weil ich nichts tun konnte, außer Tabletten einzuwerfen.
Nun durfte ich also endlich an die Stätte meiner Sehnsucht: Ins Evangelische Krankenhaus. Dort hielt ich bereitwilligst meinen linken Arm hin, damit durch einen liebevoll gesetzten Venenzugang die ersehnten Schmerzmittel in mich hineingluckern konnten.
Zusätzlich gab es Behandlungen aus der wunderbaren Welt des elektrischen Gleich- und Wechselstroms und fachkundige weibliche Therapeutenhände machten sich an meinen Faszien zu schaffen.
Mitte der Woche wurde unter dem Röntgenschirm eine Epidural-Infiltration gesetzt. All das zusammen verschaffte mir derart große Erleichterung, dass ich tatsächlich am 11.11. um 11 Uhr (kein Scherz!) meinen zusammenlegbaren Gehstock zusammenlegte, in meinem Trolley verstaute und beinahe tänzelnd das Taxi zur Heimfahrt bestieg.
Zuhause wurde ich liebevoll von meiner Frau empfangen und noch während ich meinen Trolley ausräumte, bemächtigte sich der altvertraute Schmerz - aufgerüstet um gut 20 Prozent Gemeinheit - wieder meines linken Beins, aus dem er so konsequent, aber nun doch nicht nachhaltig vertrieben worden war. Er startete wie leider gewohnt auf der Höhe der linken Hüfte, suchte sich einen zweiten Brandherd unterhalb des linken Knies und beendete seinen Ritt im linken Knöchel und der linken Fußsohle. Man darf sich das ohne wehleidige Übertreibung so vorstellen, als würde man sich auf eine in voller Pracht lodernde Herdflamme legen und nicht mehr herunterfinden.
Allen, die jetzt in psychosomatischen Fantasien schwelgen und einen Zusammenhang zwischen meiner Heimkehr und dem Schmerz assoziieren, rufe ich einen Spruch zu, den ich in New York im Halteverbot gesehen habe: "Don´t even think of parking here!"
Natürlich war "mein" Bett im Evangelischen Krankenhaus nicht mehr frei. Der dortige Orthopäde empfahl mir, zur Überbrückung bis sich ein anderes Krankenhaus meiner erbarmen würde, 3 x 100 mg Tramal einzuwerfen. Eine Dosis, die ein mittleres Elephantenbaby flachlegt, aber das mit dem Elephantenbaby hat ja schon einmal nicht so funktioniert, wie beabsichtigt.
Ein wunderbarer Freund, der Oberarzt in der Klinik Favoriten ist, verschaffte mir Bett und Zimmer auf der Akutgeriatrie - beziehbar ab Dienstag, 15.11. Also das Wochenende durchstehen und den Montag, das Tramal einwerfen und ab Dienstag würde mir wieder geholfen werden. Alle, die jetzt auch nur ansatzweise über den Zusammenhang zwischen mir und der Akutgeriatrie spötteln möchten: Siehe Halteverbot in NY.
Am Montag - einen Tag vor dem ersehnten Einrücken ins gelobte Favoritner Land - ging es mir zunehmend schlecht. Aus zunächst erhöhter Temperatur wurden am späteren Abend 39,4 Grad Fieber, Schüttelfrost, Dauer-Erbrechen und verminderte Ansprechbarkeit.
Aller Wahrscheinlichkeit nach war das Tramal überdosiert.
Meine liebevoll besorgte Frau rief kurz vor Mitternacht die Rettung, die mich leider nicht nach Favoriten brachte, sondern nach Floridsdorf. Dort wurde mir - immer noch schüttelgefrostet - ein EKG und ein Corona-PCR-Test abgenommen und eine Infusion angehängt. Dann tauchte eine Ärztin auf, fragte mich, ob ich ein medizinischer Doktor sei und nach meiner Verneinung eröffnete sie mir, dass ich Corona-positiv wäre und nun da bleiben müsste, das Zimmer auf der Isolierstation wäre schon reserviert.
Auf alle meine fiebrigen Beteuerungen, dass ich doch frisch genesen sei und sogar einen frischen negativen PCR-Test vorweisen könne, wurde nicht reagiert. Eine zweite Ärztin hatte ein paar Minuten später sogar auf meiner E-Card die Daten meiner zurückliegenden Covid-Infektion identifiziert: Sinnlos. "Vorsichtshalber" hatten die medizinischen Scharfrichter in Floridsdorf auch gleich in Favoriten angerufen, meinen positiven Test in Stellung gebracht und so mein Bett, das ich wenige Stunden später beziehen hätte sollen, storniert.
Die beiden Ärztinnen und ein Pfleger - ein besonderes Exemplar widerlichster Überheblichkeit - machten mir zwei Dinge klar: Das hier in Floridsdorf wäre "kein Gefängnis", ich könnte ja gegen Revers gehen, aber sowas würde dann gravierenden Schaden bei der Sozialversicherung verursachen. Das mit dem "wir sind kein Gefängnis" sollte ich in den nächsten drei Tagen noch von mindestens fünf anderen Personen hören. Und seitdem bin ich noch viel mehr davon überzeugt, dass meine Lebens- und Berufserfahrung tatsächlich stimmt: Wenn jemand behauptet, etwas ganz sicher nicht zu sein, dann ist diese Person das ganz gewiss schon.
Für alle medizinisch Gebildeten: Es kann tatsächlich sein, dass Covid kurz nach dem Freitesten wieder auftritt. Dann nämlich, wenn man - so wie ich - ein spezielles virenbekämpfendes Medikament bekommen hat. In 10 bis 15 Prozent dieser Fälle kann Covid wieder ausbrechen und dann sogar mit heftigen Symptomen. Ich wurde aber auf mein Drängen hin gleich am Vormittag nach meiner halb-zwangsweisen Verlagerung auf die Isolierstation erneut getestet und war: negativ! Das würde es im Fall einer Wiederkehr der Krankheit so nicht geben. Es scheint eher so zu sein, dass die Überdosis Tramal diesen Kollateralschaden hervorgerufen hat.
Die drei Tage auf der Isolierstation zählen zu den schrecklichsten meines Lebens. Ich war im schlimmsten Wortsinn allein. Zunächst hatte ich nicht einmal ein benützbares Bett und legte mich durchgeschwitzt auf eine Couch, meine Jacke diente als Kopfpolster. Dann durfte ich das neu bezogene Bett benützen.
Drei mal am Tag kam Essen, ein mal am Tag ein Arzt/Ärztin. Obwohl ganz bald alle Ärzte wussten, dass ich KEIN Covid hatte, wurde ich wie ein Covid-Kranker behandelt. Ich erhielt Schmerzmittel, von denen ich wusste, dass sie bei mir nicht wirken mit dem Argument, dass Covid-Patienten die eben bekämen. 1 mal kam eine durchaus kompetente Physiotherapeutin, um mich zu behandeln. Ein Neurologe, der mich nie gesehen und mit mir nie gesprochen hatte, verabreichte mir ein Medikament, das bei mir Bewusstseinsstörungen verursachte. Am zweiten Tag in Floridsdorf habe ich weinend mit meiner Frau telefoniert. Ich habe mich in meinem erwachsenen Leben noch nie so ausgeliefert gefühlt.
Meine wunderbare Frau schickte mir frische Kleidung und Toiletteartikel. Meine wunderbare Tochter Lisa schickte mir ein Sackerl mit Punschkrapferln, Vitaminsäften und Magazinen.
Endlich - am Ende des zweiten Tages - wurde mir mitgeteilt, dass es das stornierte Bett in Favoriten nun doch wieder für mich gäbe und ich am Donnerstag Nachmittag dort einrücken dürfte.
Das Floridsdorfer "System" blieb jedoch bis zum Schluss gnadenlos.
Am Donnerstag Mittag erschien ein Arzt in meinem Zimmer und teilte mir mit, man hätte nun einen Krankentransport organisiert, der mich in etwa drei Stunden von A nach B bringen würde. Es kostete mich 1 Stunde hartnäckigen Verhandelns, meinen Willen durchzusetzen: Nämlich selbstständig zuerst einmal nach Hause zu fahren, meine Kleidung aufzufrischen, meine Toiletteartikel zu ergänzen und dann selbstständig nach Favoriten zu fahren. Ich musste dafür eigens einen Revers unterschreiben - ein Umstand, der wenige Stunden später in Favoriten nur mit Kopfschütteln quittiert werden würde.
Als ich endlich die Klinik Floridsdorf verlassen hatte, fühlte ich mich wie bei einem Ausbruch aus Alcatraz.
Ich werde nie die katastrophale Einsamkeit vergessen, die tatsächliche Covid-Patienten, die im Krankenhaus behandelt werden müssen, erleiden.
In Favoriten wurde ich behandelt, als hätte man einen roten Teppich mit Blasmusik ausgerollt. Auf meine leichte Paranoia, die ich mir eingehandelt hatte, reagierte man besonders liebevoll.
Eine Schar von PflegerInnen war um mich herum, ÄrztInnen kümmerten sich sofort um meine medikamentöse Versorgung und gleich am nächsten Tag startete ein intensives Programm mit Strom und exzellenter Physiotherapie. Nun bin ich bereits 1 Woche hier.
Es geht langsam voran. Die nächste Woche wird noch drangehängt.
Und am 13.12. geht es in die Reha nach Baden.
Ich bemühe mich nach Leibeskräften. Kleine Siege werden gefeiert.
Wenn ich draußen den Weg von meiner Station zum Pavillion der Pathologie schaffe, freu ich mich. Wenn ich den Weg zwei mal schaffe, juble ich.
Wenn ich die vielen älteren Herrschaften auf meiner Station sehe und höre, wie sie manchmal verwirrt sind, schreien und nächtens aus ihren Zimmern gehen und nicht mehr zurückfinden, denke ich mir:
Sehr alt werden ist wirklich nichts für Feiglinge. Und diese sehr alten Menschen so fürsorglich zu betreuen, wie das hier geschieht, muss ganz besonders gewürdigt werden. Dass ein sehr großer Teil des großartigen Personals aus der östlichen EU stammt, möge all jenen Misanthropen eine Lehre sein, die ständig die Grenzen dicht machen und die Kinderbeihilfen dieser Wunderbaren zusammenkürzen wollen.
Ich habe in diesem vierten Quartal dieses besonderen Jahres für mein ganzes restliches Leben gelernt.
Bitte seid achtsam. Geht liebevoll miteinander um. Und lassts Euch nix gefallen. Das Floridsdorfer Krankenhaus sieht mich weder tot noch lebendig jemals wieder. Das schwöre ich.
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Peter der Jäger (Dienstag, 13 Dezember 2022 10:50)
"Wenn ich draußen den Weg von meiner Station zum Pavillion der Pathologie schaffe, freu ich mich."
Der Satz kann was!
Gottlob schaffst Du auch den Weg wieder zurück!