Toleranzübung.

"Ich bin vollkommen anderer Meinung als Sie, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass Sie Ihre Meinung äußern dürfen." (Sinngemäß zitiert, angeblich von Voltaire) 

"Toleranz ist der Verdacht, der/die andere könnte recht haben." (Im Original nicht gegendert, angeblich von Tucholsky)

"Weisst Du, uns liegt die allgemeine Menschenliebe sehr am Herzen, aber ein paar feste Trotteln gibt es auch bei uns." (Zitat aus meinem besonderen Freundeskreis)


Bitte jetzt keine wörtlichen Übersetzungen des lateinischen "tolerare" im Sinne von "ertragen, erdulden". Dafür sind seit dem alten Rom zu viele Jahre vergangen und immerhin hat uns die Aufklärung mit dem wunderbaren "Toleranz ist das liebevolle Annehmen des Anders-Seins" (Kant) beschenkt. 


Auch wenn mich die Aufklärung einmal mehr, einmal weniger, aber immer präsent seit meinem Studium begleitet und beschäftigt: So zaaach wie jetzt war es noch nie, mit Geduld und Ausdauer mit der Vielfalt der Meinungen umzugehen. 

Weil "uns" jener unausgesprochen verbindliche Referenzrahmen fehlt, der dafür sorgt, dass eine Unterkante von Respekt nicht durchbrochen wird. 


Es ist wissenschaftlich durchgehend erforscht, dass die Wurzeln der FPÖ tief in den Faschimus und den Nationalsozialismus hineinreichen. Und doch haben sich über Jahrzehnte nach 1945 die Repräsentanten der Ehemaligen um eine gesittete Sprache bemüht. 

Bis Haider kam und mit ihm sein Redenschreiber Kickl, der nun keinen fremden Lautsprecher mehr braucht, um seinen Unrat abzusondern. 


Und das Publikum, das diesen Sondermüll in sich abzulagern bereit ist, merkt nicht, dass es seit Jahrzehnten vorsätzlich verarscht wird, denn seit Jahrzehnten ruinieren die Faschisten - kaum dürfen sie mitregieren - die Grundrechte der Arbeitnehmer*innen und die Grundfesten der Demokratie. Diese konkrete Arbeitnehmer*innen-Feindlichkeit ist es ja, die der ÖVP so gut gefällt und zu Aussagen führt, dass die Effen den Schwarz-Türkisen so viel näher sind, als die Roten.

(Dass die "Christlich-Sozialen" in der Geschichte und auch aktuell immer wieder Probleme mit den Grundlagen einer demokratisch verfassten Republik hatten, macht den schwarz-braunen Schulterschluss auch nicht grade schwierig.)


Wenn dann regelmäßig großes Staunen ausbricht, dass sich die Faschisten trotz aller zum Himmel stinkenden Skandale immer wieder berappeln und von den eigenen Ausscheidungen stinkend an die Oberfläche zurückkehren, dann ist die Antwort auf dieses Paradoxon recht einfach: Weil das sogenannte "System" sich nicht ändert und in endlos qualvoller Wiederholung immer wieder genau die Kritikpunkte produziert, die von den Faschisten dankbar angeprangert werden. Das genügt schon, um den Wählerstrom wieder in die braunen Bahnen zu lenken.  


Mit diesem Szenario zurechtzukommen, ist mehr als eine Toleranzübung. Es ist eine fast unerträgliche Überwindung.

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