Halbwertszeit.

Kurz vor meinem 65. Geburtstag steht fest: 

Die Zahl der Jahre, die noch kommen, ist im Höchstfall grade halb so groß, wie die Zahl der bisher gelebten. Im Höchstfall.
Strafverschärfung: Die letzten 30 Jahre werden unter Garantie weniger "dynamisch", als die ersten 30 und vom geistigen und körperlichen Verfall gekennzeichnet sein.
Im Lichte dieser Vorschau denke ich an einige Beobachtungen in den letzten Jahren, als viele betagte Eltern von Menschen in meiner Umgebung darum baten, zuhause gepflegt zu werden und auch zuhause sterben zu dürfen.
Parallel habe ich ebenso viele Menschen meines Alters gesehen, die strikt gegen die Übersiedlung ihrer alten Verwandten in Pflegeheime waren und sind, weil sie auch selbst nicht dorthin wollen, wenn sie einmal im entsprechenden Alter sind.

Ich sehe das grundsätzlich anders.
Ich bitte inständig darum, im Fall körperlich und/oder geistiger Hinfälligkeit in ein Heim oder Krankenhaus gebracht zu werden.
Ich möchte dort die Segnungen professioneller Pflege in Anspruch nehmen und zumindest die Chance schneller ärztlicher Versorgung nützen können. Und sei es deswegen, weil ich jemanden greifbar haben will, der mir die entscheidende Infusion setzt, um mir meinen Abgang zu erleichtern.
Vor allem - vor allem! - aber graut mir regelrecht bei der Vorstellung, meine Angehörigen müssten sich selbst ausbeuten, nur um einem Hilflosen die Dienste angedeihen zu lassen, die Profis so viel besser beherrschen. 

Ich will nicht, dass meine Frau, wenn sie nach mir in unserer Wohnung lebt, an jeder Ecke von Bildern eines Ausgemergelten begleitet wird. Ich will, dass sie sich an unser Lachen und unsere Zärtlichkeit erinnert und nicht an Windeln und Schmerzen.
Man kann das alles sehen, wie man möchte und ich werde auf keinen Fall die Umstände anderer Menschen werten.
Ich weiß nur, was mir wichtig ist.
Und ich will auf keinen Fall, dass sich meine Liebsten wegen mir an den Rand der Erschöpfung selbst ausbeuten.
Bei meinem über alles geliebten Schwiegervater habe ich gesehen, wie es gut gemacht wurde. 

Er war ein Leuchtturm an Würde - trotz unerträglicher Schmerzen. Er hat gesagt, wann es genug war. 

Und er ist im Krankenhaus gestorben, umgeben von seinen Liebsten und begleitet bei seinen letzten Atemzügen. So will ich es auch.
Wer mich zum Sterben daheim drängt, 

tut mir keinen Gefallen. 

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