Ich weiß noch ganz genau, wie ich mich als Student nach einer konturierteren politischen Diskussion gesehnt habe, nach einem durchaus härteren Diskurs und nach einem Ende der sozialpartnerschaftlichen Konsens-Demokratie.
Meine Dissertation arbeitete sich tapfer an der These ab, dass wir in Österreich keine pluralistische Demokratie haben, sondern ein neo-korporatistisches System, das von ganz wenigen Akteuren bestimmt wird. Es war nicht schwer, vor genau 40 Jahren diese These zu belegen.
Ein ganz kleines Bissi ist die Auswahl in der Zwischenzeit größer geworden.
Die Grünen sind im Parlament und sogar in Regierungsverantwortung, die Neos haben sich ernsthaft etabliert und mittlerweile hat Marco Pogo ein sehr robustes Lebenszeichen gegeben und sogar die KPÖ ist erstmals seit Menschengedenken wieder im Verdacht, ins Parlament einziehen zu können.
Hart getroffen hat es die Sozialpartnerschaft, die ihren Status als demokratisch nicht legitimierte Nebenregierung eingebüßt hat.
Wolfgang Schüssel - dessen Karriere wesentlich durch seine Existenz in der Sozialpartnerschaft geboostet war - hat in diesem Biotop eine solche Abneigung gegen Kompromiss/Konsens und das Ausverhandeln mit den Roten entwickelt, dass er bei erstbester Gelegenheit alles unternahm, um seine politischen Absichten mit parlamentarischer Mehrheit durchzudrücken.
Die jahrzehntelange Angst vor der Straße war in seinem Sinn überwunden und so konnte er sich auch über die monatelangen Donnerstags-Demos hinwegsetzen.
Der radikale Sozialabbau in der Schüsselzeit und später völlig skrupellos unter türkis/blaun hat in mir eine kleine Nostalgie bezüglich des "Klassenkampfs am grünen Tisch" (Kreisky) ausgelöst.
Zugleich war ich jahrelang erzürnt und verbittert wegen der katastrophalen Perspektivenlosigkeit der SPÖ unter Faymann und Rendi und ganz besonders wegen deren bis zur Entwürdigung praktizierten Anbiederung an die ÖVP.
Nun ist (wieder) alles anders.
Der neue SPÖ-Parteiobmann Babler wagt es, auf die marxistischen Wurzeln der Sozialdemokratie zu verweisen. Er nimmt sich die Freiheit, in einer mitreißenden Rede (von bürgerlichen Kommentator*innen als "Brandrede" tituliert) nichts anderes anzusprechen, als die Grundwerte der Sozialdemokratie, die - sträflich unumgesetzt - ohnehin im Parteiprogramm stehen.
Und plötzlich gibt es Gekreisch von rechts.
Ausgerechnet von denen, die jahrelang auf jeden noch so kleinen Konsens geschissen haben. Die Gesetzesvorlagen Minuten vor den Abstimmungen dem Parlament vorgelegt hatten. Dem Parlament, das sie als notwendiges Übel und Abstimmungsmaschinenraum desavouiert hatten und in dem aus ihrer Sicht juristische Spitzfindereien diskutiert wurden.
Jetzt, wo es die Sozialdemokratie nicht mehr hinnimmt, dass man ihr als unterwürfigem Bittsteller auf den Schädel scheißt, jetzt brennt auf einmal der Hut. Sehr interessant.
Dann werden wir halt in den kommenden Monaten einen geschliffenen Diskurs abhalten. Von Angesicht zu Angesicht. Und mit dem "Mut zum aufrechten Gang" (Erhard Busek/der konnte Haltung noch mit Anstand verbinden).
Jetzt kommt es auf Würde und Klarheit an.
Jetzt haben wir auch den richtigen Vorsitzenden dafür.
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