Was mich so richtig nervt:
Wenn ich in ein Boomer-Klischee gezwängt werde.
Von Leuten, die sich nicht die Mühe machen wollen, ihre Vorurteile einem Reality-Check zu unterziehen.
Erkläre mich in diesem Kontext gerne solidarisch mit allen Repräsentant*innen der GenZ, die sich Gleiches - nur mit anderen Inhalten - von Boomern gefallen lassen
müssen.
Nachteil: Unsere Vorurteile gegeneinander treffen trotzdem ungebremst aufeinander.
Jüngste Beispiele:
Bevorzugtes Gebiet des Aufeinanderprallens von Klischees betreffend mein erstes berufliches Leben als Werber.
Mit ermüdender Regelmäßigkeit und Hartnäckigkeit wird von Menschen, die in den 80er und 90er-Jahren geboren wurden, genau diese Zeit als die "Goldene" der Werbung
bezeichnet. Frei von jeder Ahnung, welche Großartigkeiten zu Lebzeiten von Bill Bernbach oder David Ogilvy entstanden waren und - natürlich auch - welche Tonnen von Geld in diesen Epochen
verdient werden konnten. Größenordnungen, von denen "wir" in den letzten zwei Jahrzehnten vor dem Jahrtausendwechsel und erst recht danach nur träumen konnten.
Von diesem Klischee ist es nicht mehr weit zur "Feststellung": Ja, ihr hattet ja damals viel mehr Leute zur Verfügung, als wir heute.
Ja, genau. So war´s sicher. Schade, dass es mir nicht aufgefallen ist, als wir mit 16 Leuten bis auf die organisatorischen Knochen abgemagert eine kaputte Agentur
wieder nach oben stemmten.
Ja, ich habe eigenhändig jemanden gekündigt, der auf Geheiß meiner Vorgängerin nichts anderes gemacht hatte, als Powerpoint-Charts zu beschriften (nicht: zu
schreiben), weil diese Person sich beharrlich geweigert hatte, etwas anderes, Produktiveres, zu tun.
Und ja, wir hatten damals noch sogenannte "Retainer-Kunden", mit denen wir ein Mal im Jahr einen großen Plan schmiedeten und
dann eine kontinuierliche Spur ziehen konnten. Da gab es auch noch so etwas wie Berater*innen, die noch nicht zu Projekt-Managern verkommen waren und in der Lage waren, eine Idee von der
Exekution zu unterscheiden und einen Projektplan von einem Strategiepapier.
Das ist seit Jahren vorbei und die heutigen Agenturen müssen froh sein, wenn sie nicht jedes einzelne Projekt im Pitch gewinnen müssen. In dieser Hinsicht waren "wir"
wirklich besser dran.
Auch, wenn ich Anfang der Nuller-Jahre mit meinem Agentur-Team vereinbaren musste, dass wir den Kunden gegenüber nicht mehr von der Idee reden, weil wenn der Kunde
die einmal gefunden hatte, wurde sie auch schon zielsicher von den Excel-Sheet-Akrobaten hingemeuchelt. Wir - im Innenleben - hatten die Idee und die haben wir auch hoch gehalten, weil wenigstens
wir brauchten ja etwas, das wir als Leitplanken nützen wollten.
Ein anderes - sehr beliebtes - Klischee der Nachgeborenen:
Ja, Ihr habt ja von Sex & Drugs & Rock´n´Roll gelebt und habt irgendwann nach Mitternacht eingeraucht Eure verrückten Ideen gehabt. Ja. Kann schon sein, dass
es sowas auch gegeben hat. Aber das war nicht der Modus der wirklich erfolgreichen Agenturen. (Vielleicht mit einer Ausnahme und deren Gründer ist heute zu einer armseligen Kaputtnik-Version
seiner selbst geworden.)
"Wir" haben lange gearbeitet. Viel zu lange. Aber nicht, weil wir vorher so viel Zeit mit Saufen und F.... vertan haben,
sondern, weil es einfach so unglaublich viel Spaß gemacht hat, an einer geilen Idee zu arbeiten und die zu verkaufen und dann auf die Welt zu bringen. Dafür haben "wir" unsere Familien geopfert,
unsere Kinder viel zu selten gesehen und unsere Ehen ruiniert.
Im Nachhinein ein astronomisch hoher Preis für das bisschen Ruhm und Glitzer auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten.
Und ja, die heutige Generation tut sich all das nicht mehr an.
Leider sieht man das den veröffentlichten Ergebnissen auch manchmal schmerzhaft an.
Alles in allem: Ich fände es schön, wenn es ein Ende haben könnte mit dem gegenseitigen Aufrechnen blödsinniger Klischees.
Wie ich allerdings durch serienweise aktuelle Anfragen weiß:
"Beratung" ist zu einem kaum mehr bewohnten Niemandsland geworden. Und der Zauber einer Idee wäre nach wie vor ein erstrebenswertes Ziel. Darauf könnte man sich
einigen.
Weil Projekt-Manager und Exekutoren haben die Kunden auch - manchmal sogar bessere, als die Agenturen.
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Rainer (Dienstag, 07 November 2023 19:44)
Wenns ja nur mehr um Kohle geht, dann werden mutige Ideen mit Focus-Gruppen vom Tisch gewischt… und der Zauber der Kommunikationsbranche verpufft in den Excel-Dateien…
Christian Sadil (Sonntag, 03 Dezember 2023 10:22)
Ja. Genauso war es .... glückliche Fügungen ohne Pause ,... herrlich erfüllendes Ausleben ungezügelter Kreativität im Wettbewerb mit den großartigen Typen der Mitbewerber um jeden Etat ... Glückserleben - selbst im größten Stress ....aber das ist inzwischen alles schon soooooo weit weg. ... und inzwischen ist das auch das ist gut so.