Neulich hat mein Freund Tibor auf einen meiner Texte mit einem Zitat von Charles Dickens reagiert und mich damit unfassbar stolz gemacht.
Aus diesem Grund "borge" ich mir für diesen Text den Titel eines Dickens-Meisterwerks (für mich DAS Meisterwerk) aus und erröte wegen dieser Anmaßung ausnahmsweise nicht. (Eh nur dieses eine Mal.)
Große Erwartungen.
Meine Eltern konnten die Erwartungen, die ich in sie setzte, nicht erfüllen. Nicht, weil die Erwartungen zu groß gewesen wären. Nicht, weil sie es nicht wollten. Sie konnten es einfach nicht. Sie sind an der Banalität meiner Erwartungen gescheitert. Zu Weihnachten ging ich gern zu meinen Freunden und habe mit Vorliebe die billigen, bunten, picksüßen Zuckerln genascht, die dort an den Christbäumen hingen. Die sauteuren Ildefonso-Pralinen auf unserem Baum waren mir zu fad.
Im Stockwerk ober uns wohnte eine "rote" Familie.
Der Vater war SPÖ-Nationalrats-Abgeordneter - alle sagten zu ihm "Herr Nationalrat". Und dort stand ein Foto, wo der Onkel Gregor - so hab ich ihn nennen dürfen - auf einem Fauteuil saß und auf seinem Schoß schmiegt sich sein Sohn Thomas an ihn.
Den hab ich beneidet.
Als Erwachsener hab ich mir dann - neben meinen Alterskollegen - auch Freunde gesucht, die ein paar Jahre älter waren als ich. Oder sogar einige Jahre.
Diese Wunderbaren waren und sind - zum Glück leben die meisten noch - sowohl ältere Brüder, als auch sogar väterliche Freunde.
Mit meinem Vater konnte ich in meinem Innersten einen tiefen stabilen Frieden schließen, der von großer Dankbarkeit und Solidarität für sein Leben, das Hansi Orsolic wohl auch als "potschert" bezeichnet hätte, durchdrungen ist.
Und bei den Freimaurern habe ich Menschen gefunden, die den Ehrentitel "Bruder" sehr umfangreich verdienen. Nicht nur dort, aber dort ganz besonders.
Sogar Mütter wurden mir geschenkt. Ganz vorne, in der ersten Reihe, ein bisschen noch weiter nach vorne abgerückt, sitzt meine innigst geliebte Tante Herma. Direkt neben ihr - sozusagen eine Doppel-Pole-Position - ist noch ein goldener Sessel mit rotem Plüsch, auf den komme ich noch zu sprechen.
Mein "Tanterl" ist die Schwester meines Vaters und sie hat mir neben ihren eigenen zwei Söhnen noch einen Platz in ihrem Mutterherzen geschenkt. Dort durfte ich wohnen, so oft und so lange ich wollte.
Und sie war meine Vertraute und ich habe sie geliebt. Als sie starb, hat es mir das Herz zerrissen. Und ich musste 4 Jahre warten, bis das Schicksal mir ein zweites Geschenk machte.
Meine einzigartige, wunderbare, herzensgute Schwiegermutter. Nicht nur, dass auch sie mir einen Platz in ihrem Herzen schenkte: Bei ihr durfte ich Sohn sein. Einfach Sohn. Sonst nix. Eineinhalb Jahre lang das ultimative Glück für einen damals 56-Jährigen. Als sie starb, konnte ich mich kaum berappeln, so weh hat es getan und so sehr vermisse ich sie bis heute. Der schöne bequeme Plüsch-Sessel neben dem Tanterl ist für sie.
Und um den Solo-Jackpot zu komplettieren, gönnte mir das Leben auch nochmals einen (Schwieger-)Vater, mit dem ich alles besprechen konnte, worum ich meinen leiblichen Vater so gern gefragt hätte.
Im Advent warten Millionen Menschen auf die Ankunft eines staatenlosen, dunkelhäutigen Migranten-Babys aus dem Nahen Osten.
Ich habe sehr lange auf das gehofft, von dem ich annahm, dass es "normal" wäre.
Und rückblickend auf die letzten 65 Jahre hat es Geschenke aller Art nur so auf mich heruntergeregnet. Bunte, picksüße, kristall-glitzernde, kleine, große, schnelle, bedächtige und mittlerweile liebe ich die sauteuren, nougat-triefenden in Silberpapier gewickelten ganz besonders. Die Geschenke, die ich kriegen durfte, weil ich "ich" bin und niemand anderer sein muss, um eine hyperventilierende Reaktion hervorzurufen.
Der Advent war sehr schön. Und lange.
Und Weihnachten hat seinen Schrecken verloren.
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Raimund (Samstag, 09 Dezember 2023 20:10)
Deine Texte sind wie du, ganz besonders
WUNDERBAR. Danke dafür !