Reha-Gedanken. 1

Für meinen "inner circle" schreib ich hier ein paar Gedanken und Beobachtungen auf, die hier während meiner heiß ersehnten Reha am Zicksee entstehen.


Es ist ein unglaubliches Glück, in einem Land leben zu können, in dem man auf so fürsorgliche Art gesund werden kann. Das alles kostet die Allgemeinheit ein Schweinegeld und jeder Euro ist es wert. Und: Wie in den letzten eineinhalb Jahren ausnahmslos und überall erlebt: Das Pflegepersonal sollte pauschal mit dem Nobelpreis für Menschlichkeit und Empathie ausgezeichnet werden. Es ist eine Schande, wie schlecht diese großartigen Menschen bezahlt und vom System behandelt werden. 


Wie jedes Mal, sehe ich auch dieses Mal erschütternde Bilder von Patient*innen. Dieses Mal ganz besonders bedrückend. Ich habe noch nie in meinem Leben so viele beinamputierte Menschen gesehen. Und noch nie so viele Prothesen an einem Ort. Wunderwerke der Technik. Offenbar ist die Klinik am Zicksee spezialisiert auf Patient*innen dieser Art. Es gibt sogar eine eigene Werkstatt zum Anpassen und Justieren der künstlichen Gliedmaßen. 

Es fühlt sich an, wie in einem Lazarett mit Kriegsversehrten. Nur, dass die Versehrten die Kriege gegen Krankheiten oder sich selbst verloren haben. Rauchen, ungesunder Lebenswandel spielen genauso eine Rolle, wie Diabetes und Erkrankungen der Blutgefäße oder Krebs. In den seltensten Fällen sind es Unfälle, die zum Verlust von Gliedmaßen geführt haben. 


Ich sehe rührende Beispiele, wie sich Menschen mit größter Ausdauer und Tapferkeit bemühen, wieder Gehen zu lernen. Heute hat jemand ausgecheckt, der ging mit einer Prothese wie ein Gardeoffizier. 

Sogar Leute mit zwei Beinprothesen habe ich gesehen, die sich an einem Spazierstock schon sehr elegant voranbewegten. Auch unfreiwillig komische Szenen: Wenn jemand mit zwei Prothesen in der Cafeteria locker die Beine/Prothesen übereinanderschlägt...


Hier ist der absolute Mainstream vorzufinden.

Mit seinem rauhen Charme und seiner tiefergelegten Menschlichkeit. Beim Essen, vor allem aber in den unvermeidlichen Szenen in den Wartezonen, schlägt einem der Mundgeruch des Illiberalen entgegen. 

Ausländerfeindlichkeit, Putinversteher, Klimawandel-Leugner, Homophobie - alles gibt's hier, was es nicht geben sollte. Für einen wie mich eine harte Schule.

Die Pappm halten, woanders hinschauen, an was Schönes denken. Lesen - obwohl ich es mir gerade für diese Phasen des Tagesablaufs vorgenommen hatte - geht inmitten eines solchen Grundrauschens nicht gut. Es bleibt das Sodbrennen über die Wahlergebnisse, die uns in diesem Jahr ins Haus stehen und die Bestätigung, dass die Menschenverachtung weiter verbreitet ist, als es einem recht sein kann. 

Was auf jeden Fall bitterst notwendig ist: 

Eine Sprache zu finden, mit der man diese Menschen erreicht und mit dieser Sprache Inhalte zu transportieren, die ein Gegengewicht zum miesen Weltbild etablieren. 


Nur noch ein paar Worte zu den Gründen, warum ich hier bin. Die sechs Titan-Schrauben in meiner Lendenwirbelsäule halten. Mit superwenigen Ausnahmen habe ich keine Schmerzen mehr. Ich kann mich bewegen und genieße die Spaziergänge in der endlos scheinenden Ebene. Das Taubheitsgefühl im linken Rist ist ein fast unvermeidbarer Kollateralschaden, wie mir heute aus kundigem Mund bestätigt wurde. Aber derselbe kundige Mund hat mir auch gesagt, dass es wieder weggeht. 

Das ist doch was und bringt mich meinem Ziel, zu meinem Geburtstag zwei Augarten-Runden zu laufen, mental und körperlich erheblich näher. 

Morgen gibt's ein großes Programm mit allem, was die Reha so hergibt und ich freu mich schon sehr darauf. 

Bis demnächst! ❤️ 

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Kommentare: 4
  • #1

    Erich Lobinger (Mittwoch, 06 März 2024 19:59)

    „Die Begabung dem Dasein helle Seiten abzugewinnen, die Neigung, auch das Schwere leicht zu nehmen …….“
    Alfred Polgar 1949

    Reha - Gedanken. 1
    Hannes Sonnberger

  • #2

    Walter Zinggl (Mittwoch, 06 März 2024 23:13)

    Mein Hannes, die Liebe zu den Menschen ist wie jede Liebe: manchmal klar und selbstverständlich, manchmal aber auch mit dem großen „warum“ zweifelnd oder ver-zweifelnd. Warum? Weil es so ist, weil es so sein muss! Du wirst das wunderbar machen und voller Liebe und körperlich fitter zurück kommen!

  • #3

    Tibor Bárci (Donnerstag, 07 März 2024 11:45)

    Du und Deine wunderbare Haltung. Jetzt auch noch titanverstärkt.
    Freue mich schon Dich wiederzusehen, lieber Hannes!

  • #4

    Der Rechtsschutz-Johannes (Freitag, 08 März 2024 12:42)

    Ja, lieber Freund, so ist die Welt zur Zeit, so sind leider viele um uns herum und wir mittendrin.

    Zum Glück aber gibt es Menschen wie dich, die nicht nur (durchaus verständlich egoistisch) auf ihren eigenen Therapieerfolg konzentriert sind, sondern auch alle Sinne empfangs- und sendebereit halten für das, was um sie herum passiert.
    Gutes, Lobenswertes und vor den Vorhang zu rückendes genauso wie die blinden, bequemen und z.T. auch einfältigen Ignoranten, die uns allen das Leben schwer machen und auch Sorgen bereiten.

    Alles Gute, Hannes, gib 8 auf dich und komm repariert zurück!