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1. Chuck Berry ist mein undisputed King of Rock'n'Roll. Er hat drei Monate vor meiner Geburt "Johnny B. Goode" geschrieben.

2. Meine Volksschul-Lehrerin war eine menschliche Katastrophe. Aber Grammatik und Rechtschreibung hat sie uns nachhaltig beigebracht.

3. Die Aufnahmeprüfung ins Gymnasium war bildungspolitischer Klassenkampf. Dass sie jetzt durch den kranken Ehrgeiz von Helikopter-Eltern ersetzt wurde, ist definitiv kein Fortschritt. 

4. Wir hatten in der AHS noch Original-Nazis als Professoren. Die waren pädagogisch weiter, als die Gesundheits-Schuh-Fraktion, die meine Kinder unterrichtet hat. 

5. Als meine Generation die Freude an der Erotik entdeckte, mussten wir vor AIDS noch keine Angst haben. 

6. Dass Jungs sich in Jungs verliebten und Mädchen in Mädchen, kam in unserer Wahrnehmung sehr selten vor, hat Leute wie mich aber nie irritiert. 

7. Ich war 20, als sich ein etwa gleichaltriger Mann für mich interessierte. Sein Interesse war einseitig. Als er nach höflicher Ablehnung meinerseits nicht aufhörte, wurde ich sehr unfreundlich. Und habe zum ersten Mal verstanden, wie sich Frauen fühlen, die von aufdringlichen Männern angebaggert werden.

8. Ich halte auch heute noch die Matura für ein absolut entbehrliches Extra, das nur die Tagesverfassung nach mindestens 8 Jahren Marathon misst. (Auch wenn ich mit Auszeichnung maturiert habe.) 

9. In meiner Ansprache anlässlich der Matura-Zeugnis-Verteilung sagte ich: "Ich singe das hohe Lied all jenen, die dem hehren Ideal des Strebertums durch gezielte Faulheit einigen Glanz gestohlen haben." 

10. Diesen Satz verstehen heutige Maturant*innen nicht. 

11. Ein paar meiner damaligen Lehrer*innen würde ich sehr gerne heute wiedersehen. Leider sind die, die ich wiedersehen möchte, alle schon tot.

12. Mittlerweile sind sogar schon Mitschüler nicht mehr am Leben. 

13. Dass ich in Latein wegen galoppierender Faulheit so schlecht war, bedaure ich heute sehr. Muss ich in der Pense nachlernen. 

14. Linz war Mitte der 70er-Jahre ein einziges Stimmungstief. 

15. Beim Bundesheer habe ich zwei Erkenntnisse gewonnen: Die Knödel sind durch, wenn sie oben schwimmen (ich war im Küchendienst). Und nirgendwo sonst ist es so konsequent möglich, dass der Blödere dem Gescheiteren was befehlen darf. 

16. Mein zweiter Liebeskummer war noch schlimmer, als der erste - und den hielt ich bereits für den Untergang des Abendlands . Heute frage ich mich, wie mir so etwas passieren konnte. 

17. Wien war 1977 der Sehnsuchtspunkt meiner Fluchtambitionen. Dass es grau und hässlich war, weiß ich erst, seit es so schön ist, wie heute. 

18. Politikwissenschaft war ein wunderbares Studium. So unbekümmert, so frei, so spannend, so überhaupt nicht verschult, mit so großartigen Lehrenden. 

19. Publizistik - mein Nebenfach - genauso. 

20. Meine Kolleg*innen und ich waren frei von allem Konkurrenzdenken und haben enorm viel miteinander und voneinander gelernt. 

21. Mein erster Dissertations-Versuch ist gescheitert, weil ich weit über die Beschreibung eines verbesserungswürdigen Ist-Zustands hinaus auch noch ein besseres Gegenmodell entwickeln wollte. 

22. Erst mein dritter Anlauf war - mit einem neuen Thema - erfolgreich. 

23. Menschen, die mich gut kennen, werden darin ein lebenslanges Muster identifizieren. 

24. Mein Vater hatte recht: Politikwissenschaft ist in Österreich eine brotlose Zunft, wenn Du nicht von Kindesbeinen an politisch organisiert bist.

25. Aufgrund meiner weiträumigen Wanderung durch das ideologische Spektrum blieb mir der Nutzen einer politisch eingefärbten DNA verschlossen. 

26. Alle potenziellen Möglichkeiten, trotzdem den passenden Anschluss zu finden, habe ich mir durch notorische Bockigkeit verbaut. 

27. Meine über alles geliebte Frau hält das für einen Grund, dass mein Vorhofflimmern geheilt werden konnte und mich nicht umbrachte. 

28. Advertising is the most sexy thing, you can do with your clothes on. 

29. Diesen Spruch meines ehemaligen Europa-Chefs in der BBDO (Michael Baulk) hielt ich viele Jahre lang für wahr. 

30. Heute sehe ich das fundamental anders und wundere mich, wie heutige Werber*innen den Einsichten eines Narzissten auf den Leim gehen und sein Buch in die "Spiegel"- Bestsellerliste hochjazzen. 

31. Und doch ist mein Respekt vor allen, die heute mit professioneller Kommunikation ihr Geld verdienen, grenzenlos. 

32. Vielleicht sogar, WEIL es so anstrengend geworden ist, Spaß an dieser Arbeit zu haben. 

33. Als Boomer hatte ich das Privileg, tatsächlich einen sexy Job zu haben, um den ich beneidet wurde und den ich bis in die späten Abendstunden leidenschaftlich gerne ausübte. 

34. Für eine Idee zu brennen, ohne auf die Uhr zu schauen, kann eine durchaus hocherotische Angelegenheit sein. 

35. Diese Idee zu verkaufen, umzusetzen und am Leben zu erhalten, ist ein Hochamt.

36. Ob im Snickers 10 Prozent mehr Erdnüsse sind oder der Golf einen beleuchteten Aschenbecher hat, ist bis zur Lächerlichkeit irrelevant. 

37. Das Abarbeiten von Checklisten und das Nachbeten von Marktforschungsweisheiten halte ich auch heute noch für bösartige Kollateralschäden einer uninspirierten Marketing- und Kommunikations-Wissenschaft. 

38. Für das gnadenlose Qualitätsbewusstsein von einigen der allerbesten Wortakrobat*innen und Gestalter*innen, die mir die Gnade der Zusammenarbeit gönnten, bin ich diesen Großartigen auch heute noch dankbar. 

39. Ebenso wie all jenen, die den Mut und die Ausdauer hatten, meinem Leitgedanken zu folgen, dass Kundenberatung darin besteht, Botschafter der Kreation beim Kunden zu sein. Und nicht Botschafter des Kunden in der Kreation. 

40. Die Awards, die wir gewonnen haben, verstauben in Kellern und Dachböden (wenn überhaupt). Auch die dazugehörenden Kunden gibt es zu einem erheblichen Teil nicht mehr.

41. Aber dass auch heute noch Leute in der Branche rumlaufen, die gut sind, weil wir miteinander gearbeitet haben, halte ich für einen ewigen Bonus. 

42. Wenn meine Tochter heute sagt, sie hätte mit meiner Assistentin telefonieren müssen, wenn sie mich sehen wollte, ist das ein schlimmer Schaden vordergründiger und hohler Bedeutsamkeit. 

43. Mit maximalem Aufwand zu entscheidenden Erkenntnissen zu finden, ist ein Kahlschlag in der P&L meines Lebens.

44. Diese Erkenntnisse überhaupt verfügbar zu haben, macht mich zu einem qualifizierten Gesprächspartner meiner Klient*innen. 

45. Seit fast 20 Jahren als Wirtschafts-Coach zu arbeiten, ist das berufliche Glück meines Lebens. 

46. Es gibt nur ganz wenige Berufe, wo man mit zunehmendem Alter wirklich immer besser wird. 

47. Als "Elevator" meinen Kund*innen essenziell, empathisch und effektiv zu begegnen, ist ein Anspruch, den ich auch unter strengen Maßstäben erfüllen kann. 

Das macht mich unendlich glücklich. 

48. Apropos Glück: Man muss schon einen ganz besonderen Schutzengel haben, wenn einem mit 55 Jahren (auf den Tag genau heute vor 11 Jahren) die Liebe seines Lebens begegnet. 

49. In dieser Liebe, Lust, Leidenschaft und Loyalität geborgen zu sein, ist der Lotto-Jackpot meines Lebens. 

50. Ich bin mit Sicherheit heute ein anderer Mensch, als vor 11 Jahren und das halten die meisten Menschen in meiner Umgebung für einen Fortschritt. 

51. Wenn Du drei Enkelkinder hast, mit denen Du keinerlei DNA teilst und Du bist trotzdem ein durch und durch authentischer Opi, ist vieles verdammt gut gelaufen. 

52. Wenn die 6 Titan-Schrauben in Deiner Lendenwirbelsäule halten, freust Du Dich über die Gnade des aufrechten Gangs. 

53. Und wenn das Vorhofflimmern seit 3 Jahren nur noch eine medizinische Erinnerung ist, genießt Du das Aufwachen und das Einschlafen.

54. Gleichzeitig hat sich die Erkenntnis einbetoniert, dass nix fix ist.

55. Und der Wunsch und sogar das Bedürfnis nach zeitnaher Freude und aktuellem Genuss des liebevollen Zusammenseins mit liebevollen Menschen wird sehr mächtig. 

56. Wenn dann Klienten zu Freunden und Freunde zu Brüdern werden, fühlst Du Dich gut behütet. 

57. Wenn Du 60 Jahre lang geglaubt hast, die Demokratie wäre ein ewiger Wert und dann siehst Du, wie immer mehr Bewusstlose drauf scheißen, wird Dir mulmig.

58. Toleranz als der Verdacht, der andere Mensch könnte recht haben, wird dann anstrengend und unmöglich, wenn der andere Mensch seine Meinung über die Fakten stellt. 

59. Der Generationenvertrag verliert seine Sicherheit, wenn Dir die Generation, die Deine Rente zahlen soll, ausrichtet, dass Du ihr fundamental am Arsch vorbeigehst. 

60. Weil mit Deinen Rentenbeiträgen hast Du die Pensionen Deiner Eltern finanziert und nicht die eigene abgesichert. Das vergessen sowohl die Alten, als auch die Jungen. 

61. Ich war gegen Zwentendorf, gegen Hainburg und trotzdem hab ich zu viele und zu große Autos gehabt. 

62. Und ich war vor zwei Jahren auf Madeira auf Urlaub (einer der wunderbarsten Urlaube mit meiner wunderbaren Frau) und habe eine Freundin defriendet, die mir deswegen meinen CO2-Fußabdruck vorgehalten hat.

63. Je älter ich werde, umso unduldsamer werde ich gegenüber der Unduldsamkeit.

64. Die Aufklärung ist mein Lebens-Kompass. Und alles, was die Aufklärung gefährdet, findet einen leidenschaftlichen Gegner in mir.

65. Ich will nicht in einem System leben, das von Ausgrenzung und Mieselsucht lebt.

66. Das liebevolle Annehmen des Anders-Seins bleibt die lohnendste und härteste Übung meines Lebens.

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Kommentare: 5
  • #1

    Wolfgang Hagmann (Sonntag, 19 Mai 2024 22:26)

    Danke, liebster Hannes! Was für ein wundervoller Text! Bewunderung!

  • #2

    Der Rechtsschützer (Montag, 20 Mai 2024 13:59)

    �, Danke!
    Sitze auf der Terrasse, unter der Markise, schaue ins Grüne, vor mir ein Pale Ale und genieße diese Wortspende!
    So kann die Woche weitergehen…

  • #3

    Theo (Montag, 20 Mai 2024 15:49)

    Mein Lieber Grandios,

    Und mit Punkt 15 hast Du auch meine Bundeswehr Zeit auf das köstlichste zusammengefasst. Allerdings bin ich froh das ich nicht mit Dir zusammen gedient habe. Mag mir gar nicht ausdenken was Du so alles in die Knödel vermanscht hast ��

  • #4

    Bernhard (Montag, 20 Mai 2024 19:52)

    Einfach großartig; ein echter Sonnberger. Bin froh, dich kennengelernt zu haben.

  • #5

    Kai Flemming (Montag, 20 Mai 2024 21:11)

    „39. Ebenso wie all jenen, die den Mut und die Ausdauer hatten, meinem Leitgedanken zu folgen, dass Kundenberatung darin besteht, Botschafter der Kreation beim Kunden zu sein. Und nicht Botschafter des Kunden in der Kreation.“
    Bussi dafür, Herr Doktor