1983.
Meine Dissertation über die österreichische Sozialpartnerschaft geht in die Zielgerade.
Ich schreibe über den internationalen Proto-Typen des Neo-Korporatismus. Einen auf ein Oligopol verkürzten Pluralismus, in dem sich vier große Verbände (je zwei von Arbeitgebern und
Arbeitnehmern) in einem demokratisch nicht legitimierten Modus die Preis- und Lohngestaltung ausmachen. In der Regel am Parlament vorbei. Diese besondere Form der Konsensdemokratie -
jahrzehntelang gedoppelt durch eine GroKo im Parlament - hat sich auch in 12 Jahren absoluter Regentschaft der Sozialdemokratie in ihrem Wesen kaum verändert. Und ich bin als junger
Politikwissenschaftler zornig über diesen demokratisch verbrämten Ständestaat. Die Dissertation wird "trotzdem" mit dem Sallinger-Preis ausgezeichnet - gestiftet vom damaligen Präsidenten der
Bundeswirtschaftskammer.
1986.
Haider stürzt den pseudoliberalen Norbert Steger und trimmt die FPÖ stramm auf rechts und populistisch. Meine Frage, die mich seither nicht mehr loslässt: Was ist, wenn die Faschisten
einmal recht haben?
1989/2009
Die Mauer fällt und ich sitze unter Tränen vor der Glotze. Nie hätte ich gedacht, dass dieses Monster der Unmenschlichkeit noch vor der Jahrtausendwende fallen würde.
20 Jahre später moderiere ich einen Workshop in Deutschland und die Teilnehmenden - um die 40 Jahre alt - sagen mir, SIE hätten den Mauerfall nicht gebraucht. Mit all dem Soli und den
engstirnigen Ossis im Genick.
1994.
Die Volksabstimmung über Österreichs Beitritt zur EU geht mit 66% Pro aus. Die Faschisten "selbstverständlich" dagegen.
Die Grünen - damals (!)/leider (!) - auch.
2000.
Die ÖVP bildet als Drittplatzierte mit den Zweitplatzierten Faschisten eine Bundesregierung. Kanzler Schüssel - ein "Produkt" der Sozialpartnerschaft - geht auf stramme Konfrontation zu
seiner verhassten Sozialisation und benützt das von ihm ebenfalls verachtete Parlament als Abstimmungsmaschine, um den gesellschaftlichen Konsens niederzubügeln. Eine beispiellose reaktionäre
Regression beginnt, die der Schüssel-Schüler Kurz eineinhalb Jahrzehnte später - wieder in Koalition mit den Faschisten - auf die Spitze treiben wird.
So verdichten sich die Verhältnisse - potenziert durch 8 schreckliche Jahre einer von tiefer gegenseitiger Verachtung durchdrungenen GroKo - angetrieben von einer schrecklichen
intellektuellen Dürre auf beiden Seiten.
Heute.
In Deutschland singen wohlstandsverwahrloste pseudoerwachsene Schnösel-Rabauken Nazilieder. In Österreich grassiert eine Bildungsferne, die jede Hoffnung auf eine gesicherte demokratische
Reife atomisiert.
Die Kommentare pendeln zwischen Verbot der Faschisten und Dialog mit ihnen.
Nach so vielen Jahrzehnten vermeintlicher Sicherheit des demokratischen Systems glaube ich fest daran, dass eine demokratische Doppelstrategie notwendig ist.
Einerseits eine bisher nicht praktizierte Härte gegen die Gröhler inkl. Jobverlust und Gefängnis. Andererseits ein ebenfalls bisher nicht praktizierter Schulterschluss aller Demokraten
gegen den wahnsinnigen Mob und eine Ächtung all jener, die die Demokratie in den Schmutz treten - INKLUSIVE eine in ihrer Breite und Tiefe neuen Offensive für die Werte von Pluralismus und
Humanität.
Dazu gehört auch ein starker Rücken gegenüber allen, die aus ihren theokratischen Kulturen kommend die europäische Zeitrechnung um Jahrhunderte zurückdrehen wollen. Wenn überhaupt von einer
Leitkultur gesprochen werden kann, dann nur im Zusammenhang mit Aufklärung und Säkularität. Da haben auch die autochthonen "Konservativen" noch einiges nachzulernen.
Wenn die Demokratie jetzt nicht geeint aufsteht und wenn das Liebäugeln der chronischen Steigbügelhalter des Faschismus kein Ende nimmt, ist es sehr schnell vorbei mit allem, was wir
bewusst- und verantwortungslos genießen.
Kommentar schreiben
Herbert (Samstag, 25 Mai 2024 15:52)
Komprimierter kann man die vergangen 5 Jahrzehnte nicht darlegen. Gut verstehen können es aber „nur wir Boomer“. Die Geschichtsvergessenheit der Generationen Y und Z ist leider ein Fakt. Dazu fällt mir nur noch -frei nach George Santanaya- ein: Wer seine Geschichte nicht kennt, der ist dazu verdammt sie nochmals zu erleben
Andreas (Samstag, 25 Mai 2024 16:10)
Vorab: ein wunderbarer Beitrag über die letzten Jahrzehnte. Ansonsten glaube ich nicht, dass die Generation Z so geschichtsversessen ist. Wenn ich an meine jungen Kollegen und Kolleginnen im beruflichen Umwelt denke, wunderbare weltoffene Menschen. Ich denke eher, dass die Z eine heterogene Gruppe ist. Und damit natürlich auch diejenigen, die struntzdumm sind und naiv und selbstvergessen durchs Leben laufen. Man muss sich doch nur mal diese dämlichen Demonstrationen an den Unis anschauen. ZB Berlin oder Leipzig vWenn man sowas liest wie Queers forcPalastine. Kein Wort des Bedauerns für dieses unsägliche Massaker im Oktober letzten Jahres und diese Gruppe wäre die erste, die an den Baukränen baumeln würde wenn es denn einmal ein freies Palästina geben würde. Das ist so dermaßen naiv das ist einfach nur noch wehtut.