Vor drei Tagen hätte meine Mutter ihren 91. Geburtstag gefeiert. Sie wurde nur 71 Jahre alt.
Irgendwann vor einigen Jahren hab ich einmal geschrieben, sie wäre der traurigste Mensch gewesen, der mir je in meinem Leben begegnet ist.
Das glaube ich auch heute noch.
Mit ein paar Ergänzungen.
Meine Mutter hatte schlechte Karten bei ihrer Geburt. Ihre Mutter - meine Omi - war ein schwieriger Mensch, der sehr machtbewusst gewesen ist und nur widerstandsfähige Leute wirklich ernst nehmen wollte. Mein Opi war ein schwermütiger und konfliktscheuer Mann, der zwar äußerlich beeindruckend erschien (1 Meter 95 groß und durchaus schwergewichtig), aber sich vielem beugte, dem er eigentlich entgegentreten sollte.
Als Mutti 5 Jahre alt war, ließen sich ihre Eltern scheiden und Mutti wuchs bei ihrer Omi mütterlicherseits auf. Durch viele optische und wesensmäßige Ähnlichkeiten mit ihrem Vater provozierte sie regelmäßig "allergische" Reaktionen ihrer Mutter. Das blieb so lebenslang.
Meine Mutter "rettete" sich vor ihrer Mutter durch die Heirat mit meinem Vater, der - ebenso lebenslang - außerstande war, ihr den resoluten Halt zu bieten, den sie sich erhofft hatte.
So blieb meine Mutter ihr ganzes Leben lang auf "Mitleids-Inkasso": Schlecht behandelt von ihrer Mutter, nicht gerettet von ihrem Mann. Wer ihr dafür das erhoffte Mitleid spendete, durfte mit Liebe rechnen. Wer nicht spendete, ging leer aus.
Mit Sicherheit habe ich aus diesem nötigenden Mechanismus genau jene Abwehr gelernt, die mich gegenüber sich selbst zelebrierenden Opfern immer wieder auftreten lässt. Weil ich auch selbst eine gefährlich lange Zeit diesen Modus übernommen hatte und mich erst durch eine ausdauernde Psychoanalyse daraus befreien konnte.
Auch die Erkenntnis, dass Loyalität etwas Bedingungsloses sein muss und kein Gegengeschäft sein darf, stammt aus dieser schmerzhaften Schleife der Erkenntnisgewinnung.
Manches aus diesem verstörenden Mechanismus der Abgrenzung hat mich hart gemacht. Gegen mich selbst und gegen andere. Vieles hingegen hat mir geholfen, jenen zur Seite zu stehen, die sich aus dem Teufelskreis der Fremdbestimmung befreien wollen und einen Lotsen suchen, der auf dem steinigen Weg an wichtigen Markierungspunkten eine Fackel leuchten lässt.
Aber niemals werde ich wieder in die Klingelbeutel der selbstinszenierten Opfer auch nur einen Hosenknopf werfen. Dafür habe ich schon genug Lehrgeld bezahlt.
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