Ein bisschen Bildung.

Das soll jetzt keine philosophische Abhandlung über Bildung oder Kreuzworträtselwissen werden. Denn über Bildung, die über das Ansammeln von Wissen hinausgeht, haben sich schon Kohorten sehr kluger Leute geäußert, mit denen ich es nicht wage, mich zu messen.
Mir geht's um eine Art Grundausstattung,
die Menschen, die Verantwortung übernehmen oder tragen, haben sollten, damit sie mit Wissen in der Sache und Respekt für die Menschen ihre Aufgaben wahrnehmen können.
Allerspätestens seit Sebastian Kurz ist mir der Mangel dieser Basis schmerzhaft bewusst geworden. Und auch der Umstand, dass eine allgemeinbildende Matura heutzutage offenbar exakt diese Allgemeinbildung nicht mehr absichert.
Denn sonst hätte der Maturant Kurz als Bundeskanzler nicht so unbekümmert von der Achse Berlin-Wien-Rom schwadronieren können, die seit Hitler und Mussolini historisch kontaminiert ist (als Achse Berlin/Rom). Oder sein hartnäckiges "infiSziert" in Zeiten der Pandemie. Oder seine penetrante Ignoranz der Verfassung und des Parlamentarismus. Oder. Oder.

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt uns, dass Kurz sich in durchaus illustrer Gesellschaft befindet. Die ersten beiden Bundeskanzler der zweiten Republik - Figl und Raab - waren "tapfere" Eidesleister des Korneuburger Eides, mit dem die militanten Christlich-Sozialen Anfang der 30er-Jahre den Parlamentarismus und die Demokratie abschaffen wollten.


Raab blieb seiner hausbackenen Grundhaltung lange treu und fragte noch in den 50er-Jahren beim Thema "Fernsehen" treuherzig "Wos brauchma des Medium?", womit er eine lange Tradition des Fremdelns der ÖVP mit modernen Kommunikations-Kanälen begründete.


Sein Nachfolger als Kanzler - Gorbach - war ein strammer Reaktionär, der immerhin als Kriegsversehrter aus dem ersten Weltkrieg auf der Uni die Nazis mit seiner Krücke verdrosch.


Dann kam Klaus und der war zwar ein staubtrockener Technokrat, aber immerhin hatte er verstanden, dass Österreich sich aus dem Elend des wissenschaftlichen Provinzialismus befreien musste. Was ihn nicht daran hinderte, unverbesserlichen Nazis weiterhin als Lehrenden Zugang zu den Unis zu gewähren.


Dann kam - endlich - Kreisky. Er hatte Musil zu Ende gelesen, beherrschte Fremdsprachen und durchlüftete gemeinsam mit Hertha Firnberg und Fred Sinowatz die Anstalten der Wissensvermittlung. Niemand konnte diesen Leuten mangelnde Bildung vorwerfen, ebenso wie einer Reihe ehrenwertester Proletarier, die sich in Abendkursen höchst respektables Wissen angeeignet hatten - der großartige Rupert Gmoser mag als Lichtgestalt für alle stehen.


Mit Fred Sinowatz folgte Kreisky ein umfassend gebildeter Mensch nach, der als Historiker bis an sein Lebensende forschte und das Licht der Aufklärung strahlen ließ.


Auch Franz Vranitzky kann man eine breite Bildung und großes Fachwissen über Wirtschafts-Themen nicht absprechen.


Bei Viktor Klima keimte erstmals der Verdacht des Fachexperten-Wissens auf, auch wenn er als erster Bundeskanzler das Thema "Zwei-Drittel-Gesellschaft" fehlerfrei aussprechen konnte.


Schüssel raubte dem Bildungs-Begriff nachhaltig den Aspekt der Herzensbildung. Seine Verwüstungen der emotionalen Eiseskälte haben dann mit Kurz ganz aktuelle Frostbeulen gezeitigt.


Gusenbauer - vielsprachig und hochintelligent - verkürzte dann, auf perverse Weise dem ihm verhassten Schüssel sehr ähnlich - die Sozialdemokratie auf arrogante Intellektualität.


Das konnte man Faymann grade nicht vorwerfen. Sein authentisches Kronen-Zeitungs-Niveau hat bei vielen schwarzen Bildungsbürgern zu einem bis heute virulenten Sozen-Hass geführt.


Kern ließ einmal noch die Kombi aus Menschlichkeit und kluger rhetorischer Brillianz aufleuchten, scheiterte aber an seinem taktischen Ungeschick und wurde von den intrigant hochgerüsteten Türkisen glatt an die Wand gespielt.


Mit Kurz und seiner Entourage kam dann erstmals eine beängstigende Truppe moralisch völlig devastierter Zyniker an die Macht, die samt und sonders ihr völlig entemotionalisiertes und prekär gebildetes Idol an Wissen überragten, aber nicht sein demagogisches Talent hatten.
Mit Ausnahme der wunderbaren Brigitte Bierlein wurde dem politischen System keine Erholungspause von diesem Syndrom der Halbbildung mit Rhetorik aus dem Schützenpanzer gegönnt. Den 6-Wochen-Kanzler Schallenberg lasse ich aus.

So stehen wir jetzt da und das System blutet aus vielen Wunden.
Wenn wir ganz viel Pech haben, kommt dann einer, der sein Philosophie-Studium abgebrochen hat und Marx und Nietzsche nicht unterscheiden kann. Dafür weiß er viel über Festungs-Bau...

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Kommentare: 1
  • #1

    Aaron Radaelli (Sonntag, 22 September 2024 23:30)

    Kanzler:innen u.dgl. werden in der Mitte der Gesellschaft verursacht - häufig sogar biografisch, ad personam. Und die Gesellschaft hat ihre Geschichte, die sich u.a. an den Kanzlerpersönlichkeiten widerspiegelt.

    Nachdem im wohlmeinenden Egalitarismus in den 70ern und 80ern das empfindliche Kind „Bildung“ mit dem schalen Bad des „Bildungsbürgertums“ ausgeschüttet wurde, hat es ab den 90ern/00ern vulgäre „Schläue“ (vulgo „dummschlau“) zur Hegemonie gebracht. Johlendes Schenkelklatschen, wenn Jörg Haider Ortstafeln verschiebt, anerkennendes Raunen für Sale-&-Leaseback-Unfug, Ehrenzeichen für Stronach und andere anaerobe Gewächse – und heimliche Bewunderung für jeden, der unerkannt in die Staatskasse greift und dabei einerseits den drögen Bonzen in ihren billigen Anzügen eine lange Nase dreht und andererseits die vielen „Ladendiebstähle“ am Staat wie Frühpensionen, Krankfeiern, Schwarzarbeiten, Steuernhinterziehen, Zuschüsseerschwindeln, Kururlaubsexzesse, etc., usf. salonfähig macht. Man wertschätzt sich hier in Komplizenschaft.

    Bildung ist da nur Ballast, verlangsamt Dich durch die Fähigkeit des Zweifels, schwächt Deine Durchsetzungskraft durch Neigung zur Synthese, belastet durch die Lust am Paradigmenwechsel und wenn´s ganz schlimm läuft, fördert sie sogar Deine Empathie. Das alles ist Ballast in einer Welt, in der die kumulierte Prävalenzrate der antisozialen, narzisstischen, paranoiden und zwanghaften Persönlichkeitsstörungen in Wählerstimmen gebündelt doppelte parlamentarische Klubstärke bedeutet. Es ist Ballast in einer Welt, in der die Prävalenz antisozialer Persönlichkeitsstörung unter Führungskräften ein Mehrfaches der Gesamtbevölkerung beträgt. Bildung ist Ballast, dessen Gewicht durch Ausbildung verringert wird. Der Vertrag von Bologna tunkt das, was Bildung begünstigt, in zähflüssig ranzige Sauce Bolognese, in der alles erstickt wird, was nach Bildung riecht – und der Ausschuss, der in diesem Einkoch übrig bleibt, ist eine Qualität von Ausbildung, die KI als letzte Hoffnung erscheinen lässt.

    Natürlich entstand hier ein Vakuum, das es auszufüllen gilt, weil Köpfe ja trotzdem selten hohl sind. Das gesellschaftliche Vakuum, das die Bildungsfeindlichkeit geschaffen hat, wird gestopft mit Befindlichkeiten. Richard Sennets „Tyrannei der Intimität“ fußt auf der Respektlosigkeit vor der Ungleichheit, die auch durch Bildung geschaffen wird. Das Beherrschen der Vermeidung snowflakes Unwohlsein zu verschaffen, hat sich zur Kernkompetenz entwickelt, mit der die Pasta Bolognese an unseren Bildungseinrichtungen luftdicht überbacken wird.
    Mir scheint, dass nicht viel mehr Auswahl besteht, als zwischen vulgärer Schläue und eifernder Befindlichkeit. Sine ira et studio ist eine Provokation. Bildung ist eine Provokation, beschreibt uns der großartige Konrad Paul Liessmann.

    Das Problem ist also weitaus größer, als nur jenes – unbestreitbare - dass das politische Führungspersonal zunehmend intellektuell schwächelt. Das Problem liegt darin, dass etwas anderes als solche Schwachstellen kaum noch durchsetzbar ist.