Favoriten ist der größte Wiener Gemeindebezirk.
Der 10. Hieb. Der Bezirk hat so viele Einwohner*innen, dass er - als eigenständige Gemeinde - die viertgrößte Stadt Österreichs wäre (nach Wien, Graz und Linz). Der legendäre Ostbahn-Kurti - wiewohl seiner Biografie folgend aus Simmering (dem 11. Hieb) - hat in Favoriten den musikhistorisch bedeutsamen "Favorit'n and Blues" erfunden.
Favoriten war die Heimat des Mundl Sackbauer und vieler anderer für das Wiener Lokalkolorit unentbehrlicher Originale.
Nun hat die großartige Ruth Beckermann einen Film gedreht, der schlicht "Favoriten" heißt und in Favoriten spielt. Mein wunderbarer Freund Harry Bergmann war in der Premiere und hat mir und unserem ebenso wunderbaren Freund Tibor Bárci von diesem Meisterwerk vorgeschwärmt.
Am Wochenende waren meine geliebte Gabi und ich im Kino und haben uns "Favoriten" angesehen.
Es ist ein Meisterwerk.
Der Film spielt in der größten Volksschule (für die geliebte deutsche Leserschaft: Grundschule) Wiens.
Dort, wo es eine große migrantische Community an Schüler*innen gibt. In einer Schulklasse, die ausschließlich von Kindern mit Migrationshintergrund besucht wird.
Zumeist aus Flüchtlingsfamilien, die eben nicht ins österreichische Sozialnetz geflüchtet sind, sondern vor Tod und Verderben in ihren Heimatländern.
Diese 28 Kinder werden von einer jungen Lehrerin unterrichtet, die aus einer türkischen Familie stammt und ihre ganze Liebe über den Kindern ausschüttet.
Die Kamera und der Ton dienen einzig zum "Draufhalten". Auf einen Alltag, der drei Jahre lang - so lange begleitet Beckermann die Klasse - geprägt ist von den Schwierigkeiten der Kinder, Deutsch zu lernen. Sich von den Traditionen der eigenen Familien zu lösen, ohne vollkommen entwurzelt zu werden. Mit anderen Kindern aus jenen Herkunftsländern zurechtzukommen, mit denen das eigene Herkunftsland im Krieg ist. Mit einem Frauenbild zurechtzukommen, das mehrheitlich zu Antworten auf die Frage "Was macht denn Deine Mutter?" führt, die lauten: "Meine Mama ist Hausfrau und schwanger."
Beim Thema Kleidung erfährt man dann, dass in vielen Familien der Vater aussucht, was die Mutter anzieht. Es gibt unfreiwillige Komik, wenn ein Bub erzählt, dass der Papa Zebrastreifen malt.
Und 30er-Zone!
Beklemmend: Ganz viele Mütter können nicht schwimmen, weil sie nicht schwimmen lernen durften. (Erfährt man aus Kindermund, wenn es um den eigenen Schwimmunterricht geht.)
Auch die deutschen Sprachkenntnisse der Mamas sind dürftig.
Ich will nicht zu viel spoilern. Nur eines noch:
Die Kinder besuchen eine Moschee und werden dort vom Imam sehr feinfühlig in die Welt des Islam eingeführt.
Sie besuchen auch den Stefansdom. Dort empfängt sie der aus dem Boulevard wohlbekannte Dompfarrer Toni Faber und macht sich und die katholische Kirche lächerlich. "Das ist auch Euer Stefansdom, der gehört allen Österreichern." Auf die Frage, wo denn nun dieser Jesus sei, antwortet er: "Im Brot. Und wenn das rote Licht leuchtet, ist er hier." Somit ist sichergestellt, dass - den ratlosen Kinderaugen folgend - keines dieser Kinder jemals in den Stefansdom, der doch auch ihm gehört, zurückkehren wird...
So vieles erzählt der Film. Auch über die unsägliche Wiener Schulbürokratie - in den unbeholfenen Händen jener Neos, die doch die Bildung so hoch halten.
Am Ende bleibt man weinend (warum, wird nicht gespoilert) zurück. Und ratlos. Weil dieser Film in seiner robusten Beobachter-Position sowohl Stoff für die Xenophoben, als auch für die "Gutmenschen" liefert. Es ist ein Meisterwerk. Bitte anschauen.
>>> Das ist mein erster Blog, den ich innerhalb meiner durch großzügige Zustimmung meines Inner Circle gegründeten WhatsApp-Gruppe "Hannes schreibt" teile. Danke, Ihr Wunderbaren! 💝
Wer diesen Text liest und Teil der Gruppe werden möchte, schickt mir bitte seine/ihre Koordinaten per SMS oder WhatsApp und ist drin.
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Elisabeth Lindner (Donnerstag, 10 Oktober 2024)
Danke für die berührende Rezension, werde der Empfehlung bei erster Gelegenheit folgen!! Und bitte gerne Aufnahme in den/die Verteiler/in! �