Eine Leseprobe aus meinem Büchlein "Klartext".
Meine Betrachtungen, die gerne auch als Beitrag zu einer resoluten Diskussion verstanden werden dürfen, sollen gerade im Kant-Jahr dazu beitragen, den über die Zeiten immer noch zeitgemäßen und lebendigen Impuls Kants für die Bewältigung eines heute sehr anstrengenden Alltags aufzuzeigen. Glücklicherweise haben diesen Versuch auch schon andere - Berufenere – unternommen und mir durch ihre Werke enorme Erhellung beschert. Was ich vielleicht ergänzen darf, sind Implikationen auf das berufliche Leben und die Befüllung einer Werkzeugkiste, die im banalen „privaten“ alltäglichen Leben helfen soll, in Würde und Wertschätzung miteinander auszukommen. Aufgeklärt streiten, aufgeklärt führen, aufgeklärt zusammenarbeiten.
Aufklärung als Grundrauschen für die Herstellung des profanen Beweises, dass Wertschätzung die Basis für Wertschöpfung darstellt. Und dass die Reduktion dogmatischen Eifers und polemischer Verengung die nötige Atemluft bereitstellt,
mit der wir alle auf- und durchatmen können, ohne uns gegenseitig zu Siegern oder Besiegten machen zu wollen.
Als kleines „Blitzlicht“ zu dieser gesamthaften Erhellung mögen die folgenden Zeilen dienen:
Während die Bereitschaft und die Fähigkeit, sich aus der selbstgewählten Unmündigkeit zu befreien, laufend kleiner wird...
Während die Wissenschaftsfeindlichkeit zunimmt und die Fähigkeit der evidenzbasierten Falsifizierung immer schwächer wird...
Während sich der Diskurs als Instrument der Auseinandersetzung im Wettbewerb mit der Lautstärke verschleißt...
...da kann es nicht schaden, vier Fragen zu stellen, die einer der größten Philosophen des Abendlands formuliert hat:
1. Was kann ich wissen?
2. Was soll ich tun?
3. Was darf ich hoffen?
4. Was ist der Mensch?
Diese vier Fragen sind auch dem Menschen im
21. Jahrhundert zumutbar, der seine inhaltlichen Bezugspunkte aus dem Internet und seine persönlichen Kontakte aus den „social media“ holt. Ganz besonders die Frage „Was kann ich wissen?“ stellt eine Dauer-Herausforderung dar.
Als – altersgemäß – frequent user von Facebook und sporadischer Zaungast auf „X“ erlebe ich beinahe täglich die atemberaubende Absenz jeglicher faktenbasierter Evidenz und das unbekümmerte Drauflos-Schwadronieren auf der Basis gesicherten Halbwissens. Verbunden mit der blitzschnellen Verbreitung und Multiplikation auch noch so atemberaubenden Unsinns. Besonders heimtückisch die scheinheiligen Troll-Attacken, die vordergründig „bemüht“ nachfragen, woher ernsthafte Poster*innen ihre Daten beziehen, nur um diese eindeutigen Evidenzen mit Ergüssen der „YouTube-University“ zu kontern. Checkt man die Profile dieser Diskurs-Zerstörer, findet man mit besonderer Häufigkeit die „Schule des Lebens“ als Ausbildungsstätte. Ja. Eh.
„Was kann ich wissen?“ gekoppelt mit „Was sollte ich wissen?“ sollte wie ein Stachel im Fleisch der heutig Lebenden sitzen und zu einer dritten Frage führen: „Wie kann ich überprüfen, was ich zu wissen glaube?“ Diese Grundeinstellung könnte schon die Basis legen für die Beantwortung der zweiten Kantischen Frage: „Was soll ich tun?“
Von hier aus ist es nicht mehr weit zu den Grundelementen von Ethik und Moral.
Ethik: Was ist gut oder böse?
Moral: Was ist richtig oder falsch?
Und schon springt uns wie aus dem Hinterhalt die ehrlich gemeinte Frage an:
Und wie soll ich all das für mich klären?
Ohne fahrlässige Vereinfachung und unbotmäßige Reduktion steht auch hier der kategorische Imperativ zur Verfügung:
Was soll ich tun, damit mein Handeln als konkreter Ausdruck einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit verstanden werden kann? Was soll ich tun, damit mein Handeln als Blaupause für Menschen mit gutem Willen und guten Absichten zur Verfügung steht und der Sicherung einer allgemeinen Menschenwürde dient?
„Was darf ich hoffen?“ Aus den weisen Worten meines väterlichen und leider schon lange verstorbenen Freundes Paul Blaha ziehe ich immer noch die Kraft, mich mit dieser Frage zu beschäftigen. Er hat mich auf den essenziellen Unterschied zwischen Hoffnung und Zuversicht hingewiesen. Für viele erschließt sich dieser Unterschied bereits beim zeitgleichen Aussprechen der beiden Begriffe.
Hoffnung schwebt. Zuversicht ist geerdet.
Die Verbindung von „was soll ich tun“ und „was darf ich hoffen“ – gesiebt durch den Referenzrahmen der Realisierbarkeit (praktische Zuversicht) – bringt uns der Alltagstauglichkeit unserer Ambitionen schon ein gutes Stück näher.
„Was ist der Mensch?“ katapultiert uns in ein Wertesystem, das bereits in der Französischen Revolution entstanden war und aus dem Schrecken des Holocausts in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UNO mündete.
Der Mensch ist jenes Lebewesen, das bereit und in der Lage ist, sich an diesen unveräußerlichen Prinzipien zu orientieren und anerkennt, dass die „Politik das Knie vor dem Recht beugt“ – und nicht das Gegenteil fordert. Menschsein, verstanden als das entscheidende Mehr im Unterschied zum „nur“ aufrechten Gang sollte eben bedeuten, dass wir alle darin übereinstimmen, dass zum symbolisch verstandenen aufrechten Gang – dem „Rückgrat“ – auch die Aufrechterhaltung von Würde und Gleichheit zählt.
All das ist in Gefahr und unter Druck geraten.
Von Kräften, die sich der Rechthaberei und dem Terror der Intoleranz verschrieben haben.
Diesen Kräften mit der alltagstauglichen Übertragung der Kantischen Maximen entgegenzutreten, ist angewandte Aufklärung und allen Menschen guten Willens zumutbar.
Und natürlich kein Privileg alter weißer Männer, sondern eine Pflicht der allgemeinen Menschenliebe.
Schließlich - sapere aude! - warten drei Stufen eines allgemeinen Menschenverstandes darauf, erklommen zu werden:
1. Das Selbstdenken.
Die Selbstermächtigung, nicht jeden Scheiß unüberprüft zu übernehmen.
2. An der Stelle jedes andern denken.
Die Empathie, sich in einen anderen Menschen einzufühlen und den Verdacht zuzulassen, es könnte alles auch ganz anders sein.
3. Jederzeit mit sich selbst einstimmig denken.
Den eigenen Referenzrahmen kennen und unermüdlich daran zu arbeiten, authentisch zu handeln.
Anders dargestellt:
Vier Antriebskräfte sind notwendig und sinnvoll.
- Die Grundausstattung des Muts, selbst zu denken
- Die Bereitschaft, die Argumente des Für und Wider gegeneinander abzuwägen
- Das allgemeine, allen Menschen gemeinsame Moralbewusstsein
- Das weltbürgerliche Denken - „Weltbürgerlich“ ist bezogen auf das Ganze der Menschheit und auf die Gesamtheit aller Menschen.
Zur Auflockerung sei hier ein ganz frisches Beispiel aus meinem Alltag als Wirtschafts-Coach eingeschoben, das aus einem sehr pragmatischen Workshop mit einem ambitionierten Führungsteam stammt. Das Führungsteam hat auf mein Kant-Zitat
„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“ mit einer praxisnahen Übersetzung reagiert:
"Nachahmenswerte Führung".
Mit den konkreten Ausprägungen von:
Vorleben statt Vorreden.
Positives Role-Model sein.
Darauf achten, dass das eigene Verhalten zur Blaupause für das Verhalten anderer werden kann.
Viel mehr muss man über gelungene Führung nicht wissen...
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Birgit Brunner (Dienstag, 15 Oktober 2024 15:09)
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... ich schreib mir einen Schwindelzettel fürs Kuchlkastl... die Frageeen ���♥️