Meine Omi.

Omi (50) mit mir (1)
Omi (50) mit mir (1)

Ich spüre noch, wie wir Walzer tanzten und sie sich von mir führen ließ und sich einfach in meinen rechten Arm drückte.
30 Jahre vorher hatte sie in einem Wirtshaus in Steyr der Kapelle ein fürstliches Trinkgeld hingelegt, sich einen Csardas bestellt und auf dem Tisch tanzend den Rock gelüftet, sodass die "Steyrer Zeitung" schrieb: "... und die Umstehenden wunderten sich und sagten: Was, die trägt Baumwoll-Unterwäsche?"


Meine Omi.
Als wir Walzer tanzten - damals auf dem Betriebsausflug ihrer Firma - war sie nur ein paar Jahre älter, als ich es jetzt bin und ich war 22. Ich hatte über den Sommer bei ihr gearbeitet. Auf der Baustelle. Und 8 Wochen lang kein Tageslicht gesehen, weil wir auf einer Großbaustelle die Heizungsanlage bauten. 

Franz Kriszans Nachf. OHG - so hieß der Installationsbetrieb, den mein Urgroßvater gegründet hatte. In Steyr, wohin der Ungar - geboren in der Gegend des damaligen Stuhlweißenburg in der KuK-Monarchie - ausgewandert war. Er war ein Choleriker und als ihn noch vor Ende des 2. Weltkriegs bei einem Wutanfall der Schlag getroffen hatte, übernahm die noch sehr junge Franziska den Betrieb. Meine Mutter - ihre Tochter - war grade einmal 10 Jahre alt und mein Großvater schon 5 Jahre von ihr geschieden. 

Nach dem Krieg ist sie in der russischen Besatzungszone mit dem Lastwagen Porzellan-Armaturen liefern gefahren und mitten in den Wirtschaftswunderjahren hat sie ihre Schwester ausgebootet.
Sie war ein "man-eater" und ihr Privatleben hat in Steyr ein Dutzend Ehen an den Rand der Existenzen getrieben.


Mit ganz wenigen Ausnahmen duldete sie keine starken Persönlichkeiten neben sich, obwohl sie sich nur von solchen etwas sagen ließ.
Als ich 14 war, wollte sie mich - den sie seit Geburt für den Erben der Firma mit immerhin über 70 Mitarbeitenden vorgesehen hatte - nach Pinkafeld in die dortige HTL für Gas, Wasser, Heizung schicken. Die einzige ihrer Art in ganz Österreich. 

Und ich hatte mich strikt geweigert. Meine Eltern haben mir dabei nicht geholfen, sondern mit zusammengekniffenen Arschbacken unser Duell beobachtet. Ich sagte: "Omi, das mach ich nicht. Ich bin dafür gänzlich untalentiert. Ich will im neusprachlichen Zweig maturieren." Sie meinte im Kasernenton: "Das ist mir egal. Wenn Du es nicht willst, dann befehle ich es Dir!" Und ich erwiderte: "Omi, hier liegt ein Irrtum vor: Du kannst mir nichts befehlen." Nach kurzem Staunen - atemlos beobachtet von meinen Eltern - kam dann Omis Replik: "Das stimmt. Da hast Du recht."


Von diesem Moment an hat sie mich für den Rest ihres Lebens respektiert.
Und als ich drei Sommer lang bei ihr gearbeitet habe, waren das großartige Wochen und Monate mit Augenhöhe, Respekt und langen Abenden voller Spaß (und Alkohol).
Ich habe sie bei diesen Gelegenheiten vor zwei Mitarbeitenden gewarnt, von denen sie abgezockt wurde und diese Hinweise hat sie nicht annehmen wollen. Bis - etliche Jahre später - die Durchstechereien der beiden Übeltäter zum Konkurs der Firma geführt haben. Meiner Mutter hat sie als alte kranke weißhaarige Dame gestanden, dass ich von Anfang an Recht hatte.

Ach, Omi. Du warst DAS weibliche Role-Model für mich. Resolut, robust, glühend emotional, leidenschaftlich, knallhart im Geschäft und sehnsuchtsvoll liebesfähig.
Ohne Dich hätte ich keinen Referenzrahmen gehabt, der neurosenfrei eine Duftmarke des Erstrebenswerten in mein Leben gesetzt hat.

Jetzt, wo mich meine Titan-Schrauben im Rücken wieder gradehalten, hätte ich große Lust, wieder einen ordentlichen Walzer mit Dir zu tanzen. 

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